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Irgendwo dazwischen (komplett)

Irgendwo dazwischen (komplett)

Titel: Irgendwo dazwischen (komplett) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Freytag
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aber
in deinem Zustand hättest du doch gar nicht fliegen dürfen...“
    In ihrer
Stimme höre ich Besorgnis. „Es ist doch kein langer Flug gewesen.“
    „Trotzdem“,
sagt sie stur. Sie sieht müde aus. Und doch sah sie nie besser aus.
    „Du
scheinst glücklich zu sein“, sage ich lächelnd.
    „Das bin
ich auch...“ Die Ampel wird rot, und wir bleiben stehen. Ich schaue nach
draußen. Jede Kreuzung erscheint mir schön. Alles erscheint mir schön. Ich bin
zu Hause. Nach so langer Zeit bin ich endlich zu Hause. Die Ampel schaltet auf
grün. Ich öffne das Fenster einen Spalt und schließe die Augen. Die Sommerluft
weht in mein Gesicht. „Warum hast du einen Flug mitten in der Nacht genommen?“,
fragt meine Mutter nach einer Weile.
    „Joakim und
ich haben gestritten“, antworte ich mit noch immer geschlossenen Augen.
    Lange sagt
sie nichts. Sie scheint nachzudenken. Ich spüre, wie sie mich ansieht.
„Weswegen denn?“, fragt sie schließlich. Sie fragt es schüchtern, so als würde
sie erwarten, dass ich sie jeden Augenblick anschreien werde, dass sie das
einen feuchten Dreck angeht. „Das erzähle ich dir morgen, wenn das in Ordnung
ist... ich bin unglaublich müde...“
    „Das
verstehe ich gut... gleich sind wir da, und dann kannst du schlafen...“
    Ein letztes
Mal versuche ich Lili zu erreichen, aber ihr Handy ist noch immer aus. Ich gehe
schwerfällig die Stufen in den ersten Stock hinauf. Mein Blick fällt auf die
Fotos an der Wand. Es hängen nun sieben Bilder mehr von mir. Das macht mich
glücklich. Es ist ihre Art, mir zu zeigen, dass sie mich liebt. Und diese Art
gefällt mir.
    Ich kuschle
mich in mein altes Bett. Die Bettdecken duften nach meiner Kindheit. Ganz tief
stecke ich meine Nase in die flauschigen Decken und inhaliere den Duft. „Gute
Nacht, mein Schatz...“ Sie streichelt mir sanft über die Stirn, dann drückt sie
mir einen Kuss auf die Wange. „Schlaf ganz schön...“
    „Danke,
Mama...“ Ich drücke ihre Hand. „Du auch.“
    Dann
verlässt sie das Zimmer. Mein altes Zimmer ist nun ein Gästezimmer. Aber
eigentlich sieht es genauso aus wie früher. Meine Mutter hat nun viele
Gästezimmer, die alle so aussehen wie früher. Aber der Rest des Hauses ist
anders. Sie hat viel verändert. Vor allem sich. Das Haus wirkt ungewohnt ohne
meinen Vater, obwohl er nie viel da war. Aber ihr scheint es besser zu gehen.
Besser ohne ihn. Sie scheint absolut unbeschwert und strahlend. Ich schalte das
Licht aus und schließe die Augen. Ganz tief atme ich ein. Und es scheint so,
als wäre sogar das Atmen leichter. Ich bin wieder da.
     
    Lili
    Als ich in
die Frundsbergstraße abbiege, sehe ich Marie schon von Weitem. Sie hat sich
verändert, aber nicht so sehr, dass ich sie nicht wieder erkennen würde. Sie
hat längeres Haar und einen dichten Pony. Und es ist nicht mehr mittelbraun, es
ist dunkel. Sie trägt eine braune Hornbrille. Früher mochte sie Brillen nicht.
Sie hat immer nur Kontaktlinsen getragen. Aber die Brille steht ihr. Über ihrer
Schulter hängt eine große Ledertasche. Sie trägt eine hautenge, dunkelblaue
Jeans und ein braunes, mit Spitze besetztes Unterhemd. Dazu Turnschuhe. Neben
ihr steht ein schrankähnlicher Kerl. Sie unterhalten sich. Als ich nur noch ein
paar Meter von ihr entfernt bin, dreht sie sich zu mir. Lange schauen wir uns
nur an. Es ist, als wäre ein Teil von mir endlich wieder da. So als hätte ich
ein Stück von mir vor Jahren verloren. Und plötzlich steht es vor mir auf den
Gehweg. Einfach so. Wir lächeln. Es ist ein Lächeln, als hätte sie eben
dasselbe gedacht. So als wären wir nun endlich an dem Punkt, an dem wir schon
seit Jahren sein sollten. Ich gehe auf sie zu. Sie legt ihre Arme um mich, und
ich schließe sie in meine. Ohne ein Wort zu sagen, stehen wir in dieser
Umarmung und fühlen uns gut, weil wir uns gegenseitig fühlen und damit wieder
einen Teil unserer Selbst, den wir vergessen hatten. Ich atme tief ein. Und es
ist, als wäre die Hand, die mir jemand über Jahre auf Mund und Nase gedrückt
hat, die Hand, die mich am atmen gehindert hat, mit einem Mal verschwunden.
Langsam löse ich mich aus dieser Umarmung und schaue sie an. In ihren Augen
schimmern Tränen. „Ich kann dir gar nicht sagen, wie gut es tut, dich zu
sehen“, sagt sie mit angeschlagener Stimme.
    „Geht mir
genauso...“
    „Guten Tag,
Frau Richter“, ertönt eine glockenhelle Stimme. Ich drehe mich um. Die Maklerin
steht strahlend vor uns. „Dann müssen sie Frau

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