Irgendwo ganz anders
Ort«, sagte ich ohne Angst vor der Untertreibung, »und größtenteils leer. Theoretische Storyologen haben berechnet, dass die lesbare BuchWelt nur zweiundzwanzig Prozent der sichtbaren Lesematerie ausmacht, der Rest besteht aus den nicht wahrnehmbaren Überresten lange verlorener Bücher, vergessener Mündlicher Überlieferung und aus Ideen, die noch in den Köpfen von Autoren schlummern. Wir nennen diesen Teil ›Dunkle Lesematerie‹«.
»Warum bleibt so viel ungelesen und unerzählt?«
Ich zuckte die Achseln.
»Wir sind nicht vollkommen sicher, aber wir glauben, dass achtundneunzig Prozent der Weltliteratur vor etwa dreitausend Jahren durch den Unfalltod eines Geschichtenerzählers aus der Eisenzeit ausgelöscht wurden. Es handelte sich um das, was wir Massenauslöschung nennen, und ein ähnlich folgenreiches Phänomen lässt sich erst wieder feststellen, als an der Wende zur christlichen Zeitrechung fünfundsiebzig Prozent des griechischen Dramas durch menschliche Niedertracht, Feuer und Schimmel zerstört wurden. Ich erwähne das nur, weil die Navigation im Nichts tückischer sein könnte, als Sie sich das vorstellen. Sie könnten mit einem verlorenen Werk von Aischylos kollidieren oder von Hemingways Koffer mit den verlorenen Manuskripten auseinandergerissen werden, und Ihre Reise würde in schmerzlicher Wortgewalt enden. Schlusszeichen und Aus.«
Dr. Wirthlass nickte wissend.
Ich zeichnete einen ungefähren Kreis in der Nähe der Gattung Abenteuer auf See (zivil).
»Wir glauben, dass dieses Gebiet stark mit dem Schutt einer unbekannten Gattung durchsetzt ist, die sich vor einem Jahrhundert nicht voll ausgeformt hat – möglicherweise Squid Action/Abenteuer. Etwa zweimal pro Jahr werden die Abenteuer auf See mit Ideenfragmenten und Fetzen innerer Monologe bombardiert, die wichtige Fragen für Wirbellose betreffen, aber keinen großen Schaden anrichten. Das Buchspringen durch diese Region war jedoch immer etwas unruhig. Wenn wir schnell und problemlos vom Abenteuer auf See zu den Pionierromanen wollten, sind wir nicht direkt gesprungen, sondern haben einen Umweg über die Western gemacht.«
Diese und ähnliche Fragen besprachen wir gute vier Stunden lang, und ich war selbst erstaunt, dass ich so viel über die BuchWelt wusste, ohne dass ich mich je hingesetzt und gelernt hatte, und es erstaunte mich auch, wie weit das transfiktionale Goliath-Projekt inzwischen gediehen war. Unsere Vereinbarung beinhaltete, dass sie mich in Es war eine dunkle und stürmische Nacht auf Seite achtundsechzig absetzen würden, bevor sie sich zu Goliath zurückschnellen ließen. Dort würden sie auf meine Rückkehr warten und das Experiment auswerten, bevor sie weitere Reisen unternahmen. Ich hatte ganz klare Forderungen gestellt, als ich am Abend zuvor mit John Henry gesprochen hatte. Die Sache würde nach meinen Vorstellungen ablaufen oder überhaupt nicht, und er hatte freudig zugestimmt. Auch hatte er eine Art geschäftliche Partnerschaft vorgeschlagen, bei der ich das ganze Austen-Rover-Projekt leiten sollte und bestimmen konnte, welche Richtung der Buchtourismus einschlagen würde. Die Idee missfiel mir immer noch, aber wenn die Alternative der Totalverlust aller Klassiker durch Reality-Book-Shows war, würde ich so tun, als wäre ich einverstanden. Deshalb teilte ich John Henry mit, dass wir die Einzelheiten nach meiner Rückkehr erörtern würden. Den ganzen Tag über hatte mich der nagende Zweifel beschlichen, ob es richtig war, mich auf Goliath einzulassen.
Am Nachmittag machten wir eine Pause, und ich ging in die Kantine, wo der Fernseher lief. Gerade wurde eine Sendung über Stolz und Vorurteil und die bevorstehende Reality-Show gebracht.
»Willkommen bei Bennetmania «, sagte ein lebhafter junger Mann mit peinlich modischem Barthaar. Er moderierte eine von mehreren »Reality-Book-Fernsehshows«, die eiligst ins Programm genommen worden waren, um auf der Woge des letzten Schreis mitzuschwimmen. »... und unser Expertenteam im Studio wird hier sein, um von Anfang an eine aktuelle Analyse der dramatischen Entfaltung des Buches zu bieten. Dr. Nessecitar, der Pseudopsychologe unseres Senders, wird das allzu Offensichtliche in der Entwicklung der Bewohner des Hauses Bennet messerscharf aufzeigen, und unsere hauseigenen Experten werden ihre Meinung darlegen und Ratschläge geben, wer herausgewählt werden sollte. Zunächst aber wollen wir kurz zusammenfassen, wer die Bewohner überhaupt sind.«
Ich starrte mit
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