Irgendwo ganz anders
erholen. Sorge weiter dafür, dass die Leute Bücher lesen, Mum. Das trägt dazu bei, den unbestimmbaren Moment zu verstärken, der uns im Hier und Jetzt verankert. Strebe das LangZeitJetzt an. Es ist das Einzige, was uns retten wird. Gut«, fügte er abschließend hinzu und gab mir einen Kuss auf die Wange. »Ich muss los. Ich muss noch ziemlich viel Papierkram erledigen, bevor ich die letzte Maschine abschalte.«
»Was geschieht mit dir?«
Er lächelte noch einmal. »Mit dem zukünftigen Friday? Ein Augenzwinkern, und ich existiere nicht mehr. Und weißt du was? Es macht mir nichts aus. Ich habe keine Ahnung, was die Zukunft für den gegenwärtigen Friday bereithält, aber das ist ein Konzept, für das ich gerne sterbe.«
Ich merkte, dass mir Tränen in die Augen stiegen, was blöd war, wirklich. Vor mir stand nur ein möglicher Friday, nicht der aktuelle.
»Weine nicht, Mum. Wir sehen uns, wenn ich morgen aufstehe. Und denk bitte daran, dass ich ausschlafen möchte.«
Er umarmte mich noch einmal, und einen Moment später war er verschwunden. Ich ging in die Küche und legte eine Hand auf Landens Rücken, als er Milch in meinen Tee goss. Wir saßen am Küchentisch, bis die Zeit unzählige Trillionen Jahre in der Zukunft zum Stillstand kam. Es gab kein Auslöschen der Geschichte, kein fernes Donnern, kein »Wir unterbrechen unser Programm« im Radio, gar nichts. Die Technologie war endgültig verschwunden und mit ihr die ChronoGarde. Genau genommen hatte es beide nie gegeben. Aber wie unser Friday am nächsten Tag darlegte, gab es sie doch noch – Echos aus der Vergangenheit. Sie zeigten sich als Anachronismen in alten Texten und als Artefakte, die aus der Zeit und dem Ort fielen. Das berühmteste würde die Entdeckung eines fossilen VW-Käfers in präkambrischen Gesteinsschichten sein. Im Handschuhfach würden die Reste einer Zeitung vom folgenden Tag liegen, die von der Entdeckung des Autos berichtete und auch noch einen wertvollen Tipp für das Pferderennen um 15.30 Uhr in Kempton Park gab.
»Na gut, das war’s«, sagte ich, nachdem wir weitere fünf Minuten gewartet hatten und immer noch existierten, was uns sehr willkommen war. »Die ChronoGarde hat sich selbst abgestellt, und das Zeitreisen ist, was es sein sollte: technisch, logisch und theoretisch ... unmöglich .«
»Na, ein Glück«, sagte Landen. »Allein von dem Gedanken kriege ich Kopfweh. Ich habe schon daran gedacht, einen Ratgeber für Science-Fiction-Autoren zu verfassen, die unbedingt über Zeitreisen schreiben wollen. Er würde aus drei Worten bestehen: Lasst es sein .«
Ich lachte, und dann hörten wir, wie ein Schlüssel in der Haustür umgedreht wurde. Wie sich herausstellte, war es Friday, und ich wich entsetzt zurück, als er die Küche betrat. Er hatte kurzes Haar und trug Anzug und Krawatte. Während ich noch mit offenem Mund dastand, sagte er:
»Guten Abend, Mutter, guten Abend, Vater. Ich gehe davon aus, dass es nicht zu spät für ein wenig Nahrung ist?«
»Oh, mein Gott!«, rief ich entsetzt aus. »Sie haben dich ausge- tauscht!«
Weder Landen noch Friday konnten sich beherrschen, und beide brachen in schallendes Gelächter aus. Er war nämlich gar nicht ausgetauscht worden, er hatte sich nur die Haare schneiden lassen.
»Wirklich sehr witzig«, sagte ich, verschränkte die Arme und war extrem unbelustigt. »Als Nächstes erzählt ihr mir, Jenny wäre ein Gedächtniswurm oder so was.«
»Das ist sie auch«, sagte Landen, und jetzt war ich an der Reihe mit Lachen, denn die Annahme war dermaßen unsinnig. Das wiederum fanden die beiden nicht komisch. Ehrlich, manche Leute haben einfach keinen Sinn für Humor.
39.
Eine Frau namens Thursday Next
Das Special Operations Network wurde zur Durchführung polizeilicher Maßnahmen ins Leben gerufen, die entweder als zu ungewöhnlich oder aber zu speziell erachtet wurden, um von den regulären Einsatzkräften bewältigt zu werden. Es gliederte sich in insgesamt dreißig Teilbereiche, von der eher profanen Sektion Nachbarschaftskonflikte (SO–30) über die sogenannten LiteraturAgenten (SO–27) bis zur Abteilung KunstVerbrechen (SO–24). Die Wirkungsbereiche der Sektionen SO–1 bis SO–20 unterlagen strengster Geheimhaltung, so dass kein Mensch wusste, was sie alles anstellten. Fest steht nur, dass die Agenten alle einen leichten psychischen Defekt hatten. »Wer zu SpecOps will«, so eine Redensart, »muss schon ein paar Schrauben locker haben.«
Mein Vater hatte ein Gesicht,
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