Irgendwo ganz anders
benahm sich vollkommen anders und trug auch ganz andere Kleider. Ihre Sachen waren viel erdverbundener und vermutlich sehr nachhaltig. Anstelle von Jeans, Bluse und Jacke trug sie einen Baumwollrock und einen Häkelpullover. Ihre Schultertasche war kein Billingham, sondern aus Stoff, und ihr Pferdeschwanz wurde nicht von einem roten Haargummi zusammengehalten, sondern von einer niedlichen Schleife. Das war natürlich kein Zufall. Nachdem ich in den ersten vier Bänden der Thursday-Next-Abenteuer als äußerst aggressive Person dargestellt worden war, hatte ich verlangt, dass im fünften mein eigentlich sehr besinnliches Wesen gezeigt werden sollte. Leider wurde das viel zu ernst genommen, und Thursday5 war das Ergebnis. Sie war sensibel, fürsorglich, voller Empathie – und unlesbar. Das Große Samuel-Pepys-Fiasko verkaufte sich so schlecht, dass es massenhaft zurückgeschickt und makuliert werden musste und niemals ins Taschenbuch kam – worüber ich insgeheim eher froh war. Thursdays wäre wahrscheinlich alsbald vergessen worden, wenn sie nicht plötzlich beschlossen hätte, JurisfiktionAgentin zu werden, um »ihren Beitrag zu leisten«, wie sie es nannte. Die Grundausbildung und die schriftlichen Prüfungen hatte sie bereits absolviert, und jetzt sollte ich nach einer dreitägigen Prüfung ein Gutachten abgeben. Bisher war ich ziemlich unzufrieden mit ihr – sie würde schon etwas sehr Einschneidendes tun müssen, um mich zu überzeugen.
»Ach, übrigens«, sagte ich. »Kannst du eigentlich stricken?«
»Ist das Teil meiner Prüfung?«
»Es genügt, wenn du ja oder nein sagst.«
»Ja.«
Ich gab ihr Pickwicks halb fertig gestrickten Pullover. »Den kannst du zu Ende stricken. Die Größe steht da auf dem Papier. Er ist für mein Kuscheltier«, fügte ich hinzu, als Thursdays das Produkt meiner Handarbeit misstrauisch ansah.
»Ach, Sie haben eine deformierte Qualle als Haustier?«
»Er ist für Pickwick.«
»Oh!«, sagte Thursdays. »Ist mir eine Ehre. Ich hab auch einen Dodo. Sie heißt Pickwicks.«
»Was du nicht sagst.«
»Ja – wie hat Ihre denn ihre Federn verloren?«
»Das ist eine lange Geschichte, die mit der Nachbarskatze zu tun hat.«
»Ich habe auch eine Nachbarskatze. Sie heißt ... ach, wie war doch der Name?«
»Nachbarskatze5?«, schlug ich vor.
»Ja, genau«, sagte sie, offensichtlich verblüfft. »Sind Sie ihr schon begegnet?«
Das ließ ich unbeantwortet. Stattdessen stieß ich die Tür zum Ballsaal auf. Wir kamen keinen Augenblick zu früh. Der Protokollführer wollte gerade mit dem täglichen Briefing beginnen.
Die Büros der Jurisfiktion befanden sich schon lange in Norland, dem Gutshaus von Mr und Mrs John Dashwood. Es konnte sich kaum noch jemand erinnern, dass die Räumlichkeiten früher als Ballsaal benutzt worden waren. Der Raum war in einem zarten Hellblau gestrichen, und wo die Wände nicht mit erlesenen Stuckaturen geschmückt waren, hingen große Spiegel in goldenen Rahmen. Das schöne Parkett allerdings wurde von Schreibtischen, Stühlen, Schränken und Stapeln von Akten verdeckt. Auf jedem Tisch standen ein Fußnotofon mit einem eleganten Messinghörer, eine Schreibmaschine und ein Eingangskorb, der immer voller schien als der Ausgangskorb. Obwohl in der so genannten wirklichen Welt immer mehr elektronische Geräte das Leben bestimmten, gab es hier in der Fiktion keine Maschinen, die nicht in ein, zwei Zeilen dargestellt werden konnten. Drüben beim Sachbuch war das natürlich ganz anders, denen kam der Hightech-Kram schon zu den Ohren raus. Dementsprechend stolz waren wir darauf, dass wir mit halb so viel Leuten fast achtmal so effizient waren. Ich hielt einen Augenblick inne. Selbst nach sechzehn Jahren erfüllte es mich noch mit Stolz, dass ich hier ein und aus gehen durfte. Wirklich albern, aber so war es nun mal.
»Das wurde aber auch Zeit!«, bellte Commander Bradshaw, der vor seinem Schreibtisch stand, damit man ihn besser sah. Er war der ehemalige Held von spannenden Abenteuergeschichten für Jungen aus der Zeit des Britischen Empire und zugleich das dienstälteste Mitglied der Jurisfiktion. Seine chauvinistischen Erzählungen waren völlig veraltet und wurden kaum noch gelesen, was auch in seinen Augen kein großer Verlust war. Umso mehr Zeit hatte er für seine ehrenamtliche Aufgabe als Protokollführer, das heißt als Leiter der Jurisfiktion. Er war übrigens der Einzige, der dieses Amt schon zum zweiten Mal innehatte. Er und seine Frau gehörten zu
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