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Irgendwo ganz anders

Irgendwo ganz anders

Titel: Irgendwo ganz anders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasper Fforde
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Struktur und sogar feuchte Stellen. Die Farbe an den Fensterrahmen blätterte ab, der Boden schien sich zu bewegen und bedeckte sich plötzlich mit Fliesen, die so realistisch waren, dass selbst ich als Außenländerin sie nicht von echten hätte unterscheiden können. Während Pinocchio ungerührt weiterschlief, brach die Lesung wie eine gewaltige Flutwelle über uns herein und rollte über den Boden. Es war eine Woge von gesteigerter Realität, die uns mit Wärme und Wohlbefinden erfüllte. Aber mehr noch: Die Welle brachte eine Fülle von subtilen Gerüchen mit sich, was in der BuchWelt äußerst selten geschieht. Feuchtigkeit, frisch geschlagenes, harziges Holz, Essensgerüche, Gewürze – und Pinocchios versengte Beine, die aus Kirschbaumholz waren, wie ich zum ersten Mal merkte. Noch mehr war im Hintergrund spürbar: ein Andrang von fremden Gesichtern, das Lachen eines jungen Mädchens und fahles Mondlicht auf einem verfallenen Schloss. Die Gerüche wurden so stark, dass ich sie fast schon im Mund schmeckte, der Staub und Schmutz in der Werkstatt verdichteten sich ... und dann zischte es plötzlich und man hörte ein saugendes Plopp! und dann war es vorbei. Alles reduzierte sich wieder auf die beschränkte Wirklichkeit, die wir vorgefunden hatten, als wir die Werkstatt betraten. Ich gab Thursday5 einen Stoß in die Rippen.
    Sie schlug die Augen auf und sah verwirrt um sich. »Was war denn das? «, fragte sie und starrte mich alarmiert an.
    »Wir sind gelesen worden«, sagte ich und war selber ein wenig erschüttert. Wer immer es gewesen war, es war undenkbar, dass er uns nicht gesehen hatte.
    »Ich bin schon oft gelesen worden«, murmelte Thursday5. »Aber so war es noch nie.«
    Sie hatte recht. Ich hatte im Lauf der Jahre schon so viele Romanfiguren vertreten, aber eine so intensive Lesung hatte ich dabei noch nie erlebt.
    »Schauen Sie mal«, sagte Thursdays und hielt mir den HNA hin. Die Lesegeschwindigkeit hatte sich auf unerhörte 68,5 Wörter pro Sekunde erhöht.
    »Das ist doch unmöglich«, sagte ich. »Die Bandbreite der Über-tragungsmaschinen erlaubt gar keine solche Geschwindigkeit, jedenfalls nicht bei solcher Leseintensität.«
    »Glauben Sie, dass die uns gesehen haben?«
    »Da bin ich ganz sicher«, sagte ich. In meinen Ohren hallte das Summen nach, und ich hatte einen eigenartig hölzernen Geschmack im Mund. Ich warf erneut einen Blick auf das HNA-Gerät. Der Leser war jetzt weit vor uns und preschte mit einem irren Tempo durch die Kapitel am Ende des Buches.
    »Du meine Güte!«, sagte die Grille, die ein wenig erhitzt und benommen aussah, als sie zusammen mit ihrem Double wieder erschien. »Das war genauso aufregend, wie ich es mir immer vorgestellt habe. Aber ich habe nicht gestottert und bin auch nicht hängen geblieben. Ich war hervorragend, oder?«
    »Du warst wunderbar, Liebling«, sagte das Double. »Alle allegorischen Jugendbücher werden über dich sprechen. Du hast dich selbst übertroffen.«
    »Und du erst!«, sagte die Grille. »Wie du von der Wand gefallen bist – einfach göttlich!«
    Aber Grillen, die sich gegenseitig beglückwünschten, interessierten mich im Moment gar nicht. Selbst die Goliath-Sonde trat für den Moment in den Hintergrund.
    »Ein SuperLeser «, hauchte ich atemlos. Ich hatte schon von ihnen gehört, aber ich hatte immer gedacht, diese Geschichten wären Märchen von ausgebrannten Text-Jockeys, die sich dreimal täglich an unregelmäßigen Verben berauschten.
    »Ein SuperLeser?«, wiederholte Thursday, und sogar die Grillen hörten auf, sich gegenseitig zu beglückwünschen, und spitzten die Ohren.
    »Das ist ein Leser mit ungeheurer Vorstellungskraft, der jede noch so kleine, tief im Text versteckte Nuance und Anspielung erfasst – und das in einem Zehntel der Zeit, die normale Leser brauchen.«
    »Das ist gut, oder?«
    »Nicht wirklich. Ein Dutzend SuperLeser könnten alle Bedeutung aus einem Buch herausziehen, bis nur noch eine leere Hülle übrig ist. Die Handlung wäre extrem dürftig, und die Figuren hätten keinen Charakter.«
    »Ach so? Dann sind die Romane von Daphne Farquitt also von einem SuperLeser verwüstet worden?«
    »Nein, die sind einfach schlecht.«
    Ich dachte einen Augenblick nach, machte mir ein paar Notizen und steckte dann die Sonde aus dem Außenland in meine Tasche. Ich versuchte, Bradshaw anzurufen, um ihm Bescheid zu sagen, was wir gefunden hatten, aber ich kriegte nur seinen Anrufbeantworter. Ich erinnerte mich, dass ich

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