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Irgendwo ganz anders

Irgendwo ganz anders

Titel: Irgendwo ganz anders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasper Fforde
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studierte das Gerät noch einmal genauer. Es war ein Hand-lungsNäheAnzeiger und diente unter anderem dazu, dass unsere intrafiktionalen Bewegungen von Lesern im Außenland nicht erkannt werden konnten. Eine der Besonderheiten der BuchWelt bestand darin, dass die Bewohner, wenn sie nicht gerade gelesen wurden, meist ziemlich entspannt waren. Sie unterhielten sich, übten, tranken Kaffee, sahen beim Kricket zu oder spielten Mahjongg. Aber sobald sich ein Leser näherte, sprangen sie eilig an ihre Plätze und machten das, wofür sie da waren. Die Figuren spürten es aufgrund ihrer Erfahrung schon lange im Voraus, wenn ein Leser sich näherte, aber wir JurisfiktionAgenten konnten das nicht. Deshalb brauchten wir das Warngerät. Von einem Leser an einer Stelle erwischt zu werden, wo man nicht hingehörte, war außerordentlich peinlich, weil es große Verwirrung auslöste. Ich bin nur ein einziges Mal gesehen worden – und schon das war einmal zu viel.
    »Ja, ich glaube«, sagte Thursday5 und starrte erneut auf die Skala. »Nein, warten Sie – ja.«
    »Ein positives Echo heißt, der Leser ist vor uns, ein negatives heißt –«
    »Verflixt«, sagte sie. »Die sind nur zwei Absätze hinter uns und kommen direkt auf uns zu. Ma’am, ich fürchte, wir werden gelesen !«
    »Ist es ein schneller Leser?«
    Erneut studierte sie das Gerät. Wenn es ein schneller Leser war, ein Wiederholungstäter oder ein gelangweilter Schüler, dann war es vielleicht nicht so schlimm. Ein gemächlicher Leser hingegen, der jedes Wort genau studierte, um versteckte Bedeutungen und subtile Zitate zu finden, stellte eine echte Gefahr dar. In diesem Fall würden wir rasch aus dem Buch springen müssen.
    »Sieht nach 41,3 aus.«
    Das war weitaus schneller als die zulässige Übertragungsge-schwindigkeit für dieses Buch, die bei ungefähr sechzehn Wörtern pro Sekunde lag. Es handelte sich also um einen Schnellleser, der über die Seiten sprang wie ein flacher Stein übers Wasser und wahrscheinlich nur jedes fünfte Wort wahrnahm.
    »Die sehen uns nie! Drück dich einfach flach an die Wand, bis die Lesung vorbei ist.«
    »Sind Sie sicher?«, sagte Thursday5, die sich offenbar noch an die alte Jurisfiktion-Regel hielt, die besagte: Besser einmal tot gewesen, als am falschen Ort gelesen.
    »Du musst schon wissen, wie es ist, wenn man sich verstecken muss«, erwiderte ich. »Zu viel Vorsicht ist was für Verlierer.«
    Ich war unnötig aggressiv – wir hätten mühelos aus dem Buch springen und ein paar Seiten zuvor wieder reinspringen können. Dann wären wir hinter der Lesung gelandet und mit Sicherheit nicht gesehen worden. Aber manchmal müssen die Kandidaten auch hart am Wind segeln. Die beiden Grillen waren bei der Aussicht auf ihre erste Lesung verständlicherweise höchst aufgeregt. Sie rannten wild hin und her, ehe sie ihre Positionen erreichten.
    »Ganz stillstehen«, ermahnte ich Thursday5, während wir uns an die am wenigsten beschriebene Wand pressten und auf den HNA starrten. Die Nadel stieg rasch an und näherte sich mit Riesenschritten dem so genannten »Read Zero«, das heißt dem aktuellen Punkt, wo die Geschichte gelesen wurde.
    Man hörte ein entferntes, immer lauter werdendes Summen, als die Lesung sich näherte. Das war die gesteigerte Vorstellungsleistung des Lesers oder der Leserin, die von den gewaltigen Übertragungsmaschinen im TextGrandCentral mit den Einzelheiten der Geschichte versorgt wurden. Ihre Fantasie arbeitete auf Hochtouren, und das konnte man spüren, wenn man sich in einem Buch befand, das gerade gelesen wurde. Es war eine herrliche technische Leistung. Das Schöne daran war, dass der Leser im Außenland von dem komplizierten Prozess gar nichts ahnte – das Lesen war für die meisten Menschen – und das galt auch für mich – so natürlich wie Atmen.
    Geppettos Werkzeug begann zu zittern, und ein paar Holzspäne segelten über den Fußboden. Sie schienen immer unterschiedlicher und individueller zu werden, je lauter das Summen wurde. Ich runzelte die Stirn. Irgendetwas stimmte nicht. Ich hatte durchaus erwartet, dass der Raum ein wenig plastischer und realistischer werden würde, wenn ihn der Leser erreichte und mit seinen eigenen Erfahrungen und Deutungen füllte, aber als das Vibrieren und Summen stärker wurden, sah ich, dass Collodis allegorische Geschichte plötzlich einen nie dagewesenen Detailreichtum zeigte. Die Wände, die bisher nur verwaschene Flächen gewesen waren, zeigten plötzlich eine subtile

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