Irische Küsse
den Fensterschlitzen angezogen, betrat sie die Kapelle.
Die geschnitzte Holzschatulle stand wieder an ihrem Platz in der Mauernische neben dem Altar. Im Aufruhr der Ereignisse des vergangenen Tages hatte sie den Dieb völlig vergessen. Nun fragte sie sich, ob es eine Verbindung zwischen dem Raub und John of Ceredys geben könnte.
Ihn gelüstete es nach dem Rubin, den Marie St. Leger getragen hatte, und nach dem vermeintlichen Schatz der Ceredys. Der Mann war von Habgier zerfressen und würde vor nichts zurückschrecken, um sein Ziel zu erreichen.
Sie fuhr erschrocken herum, als die Kirchentür in den Angeln quietschte. Im Zwielicht erkannte sie John, der sich beim Betreten der Kapelle bekreuzigte. Eine Geste, die einer Gotteslästerung gleichkam, denn der Mann war der Satan in Menschengestalt.
„Bittet Ihr Gott um Vergebung für Eure Sünden, Lady Honora?“, murmelte er.
Sie bemerkte die blutverkrustete Schnittwunde an seiner Wange und tastete nach ihrem Dolch. Er war nicht da. Sie hatte nicht daran gedacht, ihn mitzunehmen.
„Was wollt Ihr?“
Er näherte sich lauernd. Honora wich zurück, bis sie die Tür im Rücken spürte. Sie würde sich von ihm nicht wieder in die Enge treiben lassen. Fieberhaft überlegte sie, wie sie ihm entkommen konnte, falls er sie angriff.
„Ihr werdet Sir Ademar nicht heiraten.“ Sein lüsterner Blick heftete sich an ihren Busen. „Ihr begleitet mich nach Ceredys, wohin Ihr gehört.“
Honora zog den Umhang enger um ihre Schultern, um ihm keinen Blick auf ihr Nachtgewand zu geben. „Das ist meine Entscheidung, nicht die Eure.“
„Ihr irrt“, entgegnete er mit gefährlich schleppender Stimme. „Als Erbe und Nachfolger meines Vaters bestimme ich, welchen Mann Ihr heiratet. Schließlich handelt es sich um den Besitz meines Vaters.“
„Und Ihr werdet jeden Bewerber ablehnen, nehme ich an“, mutmaßte sie höhnisch.
Sein böses Lächeln war ihr Antwort genug. Sie fuhr herum und wollte fliehen, aber John versperrte ihr den Weg.
„Wir sind noch nicht fertig, Lady Honora. Da wäre immer noch die Sache mit dem Rubin, den Ihr gestohlen habt“, sagte er schneidend. „Ich weiß, dass Marie St. Leger ihn Euch vor Eurer Flucht gegeben hat.“
„Sie hat mir nichts gegeben. Wie denn auch? Ich bin Eurer Gefangenschaft entflohen.“ Sie warf einen Blick über die Schulter zur Tür.
„Sie hat Euch befreit, nicht wahr? Nicht persönlich, aber ich weiß, dass sie Euch die Flucht ermöglichte. Und der Edelstein ist nicht mehr auf Ceredys.“
Er stellte sich hinter sie und vereitelte dadurch, dass sie ihm entkam. „Ihr kennt die Strafe für Diebstahl, nicht wahr?“ Er packte zu und hob ihre Hand. „Es wäre jammerschade, wenn Ihr diese Hand verliert.“ Er strich mit dem Daumen über die Stelle, wo ihr Puls pochte. Wütend riss sie sich los.
„Wagt es nicht, mir zu drohen.“
Er ließ sich nicht beirren. „Gebt den Rubin zurück, und ich sage Eurem Vater nichts von der Wunde, die Ihr mir zugefügt habt.“ Er wies mit dem Finger auf seine Wange.
„Wie soll ich etwas zurückgeben, was ich nicht besitze?“
Diesmal griff John nach ihrem verletzten Handgelenk. „Ich habe endgültig genug von Eurem Ungehorsam“, knurrte er und drückte zu.
Honora biss sich die Lippen blutig, um den Schmerz zu verdrängen. Gleichzeitig versuchte sie John aus dem Gleichgewicht zu bringen, ihm ein Bein zu stellen und zu Fall zu bringen. Aber ihr fehlte die Kraft, sie konnte nichts ausrichten.
„Ihr seid der Dieb“, zischte sie. „Einer von Euren Leuten hat auf der Suche nach Maries Rubin die Schatulle aus der Kapelle gestohlen und meine Sachen durchwühlt.“
John leugnete ihre Anklage nicht, stattdessen beugte er sich drohend über sie und starrte ihr feindselig in die Augen. „Ich werde ihn finden, Honora, verlasst Euch darauf.“
Der stechende Schmerz in ihrem Handgelenk war unerträglich, sie glaubte schon in Ohnmacht zu sinken, als sie Schritte hinter sich hörte. Dann vernahm sie einen Laut, der geradezu mörderisch klang. Sie blinzelte verwundert, als Ewan in der offenen Tür stand.
Ohne Vorwarnung stürzte er sich auf John, der augenblicklich ihr Handgelenk losließ. Honora sank kraftlos auf die Steinfliesen, schloss die Augen und barg ihren schmerzenden Arm schützend an ihrer Brust. Das dumpfe Geräusch von Faustschlägen, das Knacken brechender Knochen drang an ihr Ohr. Sie schlug die Augen auf, kroch auf allen vieren zur Tür der Kapelle und blickte einen flüchtigen
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