Iron Witch
tatsächlich vor Angriffen schützten. Aufwendige Wirbel und Bögen kreuzten diagonale Linien in leuchtenden Farben. Einige der scheinbar chaotischen Blumenanordnungen waren tatsächlich sorgfältig entworfen worden, um geometrische Formen und exakte Winkel abzubilden. Aus der Luft musste der Garten unglaublich aussehen – eine Art geheime Botschaft vermitteln, die nur die Sterne lesen konnten.
In der östlichen Ecke des Geländes, weit weg in der Ferne, stand eine ständige Rauchsäule, die sich vom Boden in den Himmel schlängelte. Donna sah den Rauch bei jedem Wetter und zu allen Jahreszeiten, unabhängig davon, ob es Laub zu verbrennen gab oder nicht. Tante Paige hatte ihr einmal erzählt, es wäre nur ein Lagerfeuer, aber wenn das stimmte, warum brannte es dann das ganze Jahr hindurch?
Sie kam früh ins Haus zurück und zwang sich, an einem Sandwich zu knabbern, das die Küchenangestellten für sie zubereitet hatten. Sie war überhaupt nicht hungrig, aber sie zwang sich dennoch, ein paar Bissen zu essen. Dabei streifte sie durch die Gänge des Hauses. In ihren Kopf schossen immer wieder Bilder des Waldelfen, der Xan angegriffen hatte. Genau wie am Tag zuvor, als der Elf in Makers Werkstatt auf Navin losgegangen war. Sie atmete tief durch, gab sich einen Ruck und änderte die Richtung. Damit wollte sie zwei von Quentins Mitarbeitern aus dem Weg gehen, die über irgendwelche Baumaßnahmen diskutierten und dabei durch einen der vielen Gänge schlenderten. Alma würde noch nicht zurück sein, also beschloss Donna, noch etwas Zeit in der Bibliothek zu verbringen.
Sie hatte sich oft gefragt, wie es wäre, in so einem prachtvollen Haus zu leben. Man hatte tatsächlich ernsthaft über diese Möglichkeit nachgedacht, als sie damals zur Waise wurde.
Meistens kam sie zu dem Ergebnis, dass es besser war, nicht hier zu wohnen; die Einschränkungen und die gezwungene Förmlichkeit würden sie in den Wahnsinn treiben.
Abgesehen davon, wäre es echt schräg , bei Quentin und Simon zu leben.
Sie war Tante Paige so dankbar, dass sie damals ein so schwer verletztes und traumatisiertes Kind bei sich aufgenommen hatte. Von Tante Paige hatte sie stets nur Fürsorge und Zuwendung erfahren – zugegeben, es war ihre ganz spezielle Art von praktischer Zuwendung, aber meistens reichte das völlig aus. Wenn sie manchmal ein bisschen streng rüberkam, so lag das daran, dass ihre Tante nie einen Ehemann oder eigene Kinder gehabt hatte; als Mutter war sie nicht gerade ein Naturtalent. Mit ihrem Vollzeitjob und den Anforderungen des Ordens schien Tante Paige immer viel zu beschäftigt für eine Familie.
Donna blieb am Ende eines Korridors im ersten Stock stehen und öffnete die großen, eleganten Türen zu Quentin Frosts Lieblingsbibliothek. Als sie noch klein war, erschien ihr der Erzmeister stets wie eine unnahbare und geheimnisvolle Gestalt. Irgendwie magisch, was der Wahrheit ja recht nahekam.
Nicht, dass sie Quentin oft sah, nicht einmal jetzt. Über die Jahre war er immer mehr zum Einsiedler geworden. Donna war ihm im vergangenen Jahr nur ein paarmal über den Weg gelaufen, entweder bei den Sonntagsessen, zu deren Teilnahme Tante Paige sie immer anhielt, oder seltener noch, wenn er eine große Ausnahme machte und »aus dem Ruhestand zurück« sie unterrichtete. Als sie jünger war, hatte er sie manchmal in der Bibliothek beim Stöbern zwischen all den Hunderten von Büchern in den Regalen angetroffen, und er war überaus entzückt darüber, dass sie ein so ausgeprägtes Interesse dafür zeigte.
Eine andere Bezeichnung für diese Bibliothek war aus ganz offensichtlichen Gründen »Blaues Zimmer.« Die dreiteilige Couchgarnitur in der Mitte des großen Raums war mit weichem, königsblauem Samt bezogen, und die Tapete an den Wänden war cremefarben, durchsetzt mit winzigen Kornblumen. Donna hielt es für übertrieben, aber Quentin gefielen seine farblich exakt abgestimmten Zimmer.
Die Sitzecke der Bibliothek bildete keine Ausnahme. Die Couch stand vor einem niedrigen Tisch aus Palisander, und darauf stand das Requisit zu Quentins und Simons liebster Freizeitbeschäftigung: ein Schachspiel. Es war kein gewöhnliches Schachspiel; nichts an diesem Spiel war normal, außer das wunderschöne Schachbrett. Das hier war Elementar-Schach, etwas, das die Alchemisten aus dem traditionellen Spiel entwickelt hatten. Donna konnte es immer noch nicht spielen – die Spielsteine hatten andere Namen und waren den Sternen und Planeten zugeordnet.
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