Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Titel: Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein

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Überlebenden?«
    »Ich nehme es an«, antwortete Watson. »Aber um das genau zu sagen, müsste ich sie aufschneiden.«
    Ich beschloss spontan, ihm diese Bemerkung übel zu nehmen.
    »Und dieses … Zeug hat all diese Menschen umgebracht?«, fragte Nikola.
    »Nein«, erwiderte Watson. »Jedenfalls nicht unmittelbar. Wie ich Ihnen heute Morgen schon gesagt habe: Wüsste ich es nicht besser, dann würde ich sagen, dass diese Menschen verhungert sind, so als …«
    »Aber deshalb sind wir nicht hier«, mischte sich Adler ein. »Doktor?«
    Watson trat gehorsam beiseite, und Adler nahm nicht nur seinen Platz am Tisch ein, sondern schlug auch den Hautlappen zurück, der das Gesicht des Toten bedeckte. Ich starrte das totenbleiche Antlitz ebenso fassungslos an, wie Nikola es tat. Lange.
    »Ich sehe, Sie erkennen Constabler Bannison«, sagte Adler.
    Nikola nickte, während ich den Toten nur weiter anstarren konnte. Das Gesicht hatte sich verändert und war ausgezehrt wie das eines Menschen, der tatsächlich über Monate hinweg jämmerlich verhungert war, und der kränkliche graue Ton der Haut war nicht nur dem Tode geschuldet. Die erloschenen Augen waren so weit in die Höhlen zurückgekrochen, dass sie ebenso gut auch hätten verschwunden sein können, und ich sah auch, dass die meisten Zähne fehlten; ausgefallen, nicht etwa ausgeschlagen.
    »Das ist … vollkommen unmöglich«, stammelte Nikola. »Kein Mensch kann … kann so schnell so … so verfallen!«
    Derselben Meinung war ich auch. Ich hatte den Mann noch vor wenigen Tagen gesehen, nur war er da höchst lebendig gewesen, hatte mindestens hundert Pfund mehr gewogen, eine Polizeiuniform getragen und uns in die Zelle eingeschlossen, die uns Adler auf der Polizeistation zugewiesen hatte.
    »Seltsam, aber wortwörtlich dasselbe habe ich auch gedacht, als ich dieses Trümmerfeld von Gesicht endlich wiedererkannt habe«, sagte Adler mit einer Stimme, der jeglicher Humor abging. »Wie lange dauert es, bis ein Mensch so verfällt, Doktor Watson?«
    »Monate«, antwortete Watson widerwillig.
    »Aber vor ein paar Tagen war er noch vollkommen gesund und in bester Verfassung«, sagte ich. »Ich habe ihn gesehen.«
    »Nicht diesen Mann«, beharrte Watson. »Es war vielleicht sein Zwillingsbruder oder ein anderer naher Verwandter.«
    »Constabler Bannison hatte keine Verwandten«, sagte Adler. »Und schon gar keinen Zwillingsbruder.«
    »So wenig wie der arme Bursche, den Sie erschossen haben«, bestätigte Nikola. »Oder die anderen, eingeschlossen Jacobs.«
    Und Allison, fügte ich in Gedanken hinzu, und Nikola sah mich so erschrocken an, als hätte ich es laut ausgesprochen. Aber vermutlich schoss ihm gerade genau dasselbe durch den Kopf. Meine Hand tastete ganz ohne mein Zutun nach dem schmalen Verband an meinem Hals, und für eine Sekunde oder zwei lauschte ich gebannt in mich hinein, voller banger Erwartung, dort etwas zu spüren, das wuchs und fraß und mich von innen heraus verzehrte. Aber da war nichts.
    Watsons Blick folgte meiner Bewegung, und er wirkte sehr viel mehr gespannt als besorgt, und dann (und damit verscherzte er es sich endgültig mit mir) sogar ein bisschen enttäuscht, als ich die Hand weder sinken ließ und mir keine Antennen aus dem Kopf wuchsen.
    »Und alle anderen sehen genauso aus?«, fragte Nikola noch einmal.
    »Die anderen Toten, ja.« Watson nickte sehr ernst. »Ich habe so etwas noch nie gesehen und kann nur raten, aber es kommt mir so vor, als hätte dieses … Myzelium sie von innen heraus aufgezehrt, sodass sie uns verhungert vorkommen.«
    »Vielleicht haben sie einfach nichts zu essen bekommen«, vermutete Adler, erntete aber nur ein fast schon zornig anmutendes Kopfschütteln.
    »Dann wären der Magen und die Verdauungsorgane verkümmert«, behauptete Watson. »Aber dieser Mann hat gegessen und getrunken. Nur hat etwas seinem Körper alle Energie entzogen, bevor er sie verarbeiten konnte. Genau wie bei allen anderen.«
    »Und die anderen«, fragte Nikola, »die noch am Leben sind? Wie Jacobs oder dieser Junge?« Oder Allison.
    »Solange noch niemand einen Weg gefunden hat, in einen menschlichen Körper hineinzusehen als wäre er aus Glas …« Watson hob die Schultern.
    Nikola überlegte, schien etwas sagen zu wollen, klappte den Mund wieder zu und griff stattdessen in die Jackentasche. Nach einigemHerumgekrame zog er die Hand wieder zurück und hielt einen vielleicht anderthalb Zoll messenden Würfel aus mattschwarzem Material in die