Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)
drehte wieder an dem Rad, und die unsichtbare Kraft zog das Metalltierchen nun gut auf das Zweifache seiner ursprünglichen Größe auseinander. Ich sah, wie sich die winzigen Metallfüßchen ins Glas zu krallen versuchten und dann eines nach dem anderen abbrach.
»Ein zähes kleines Biest, nicht wahr?«, fragte Nikola. Er klang unangemessen amüsiert, fand ich.
Etwas knackte, ein heller peitschender Laut, der mich zuerst glauben ließ, das Glas wäre geplatzt. Doch es war die Kakerlake, die zuerst in der Mitte entzwei- und dann in immer kleinere und kleinere Stücke zerbrach, die sich wie goldfarbener und schwarzer Staub auf der Innenseite des Glases verteilten.
»Aber so zäh nun auch wieder nicht«, meinte Allison.
Nikola nickte zwar, sagte aber trotzdem: »Wer weiß.« Er machte eine ungeduldige Handbewegung. »Und jetzt treten Sie bitte alle zurück.« Allison schien widersprechen zu wollen, aber als ihr Blick dem Nikolas begegnete, schien sie darin etwas zu lesen, das ihren Widerstand im Keim erstickte, und sie folgte dem Beispiel Watsons, der sich bereits ein gutes Stück zurückgezogen hatte.
»Sie nicht, Quinn Devlin«, sagte Nikola, als auch ich mich zu Allison gesellen wollte. »Ich brauche Sie noch.«
»Wozu?«
Nikola schüttelte nur kurz den Kopf und drehte dann den Schalter zurück.
Ich hatte es zwar halbwegs erwartet, aber ich fuhr trotzdem erschrocken zusammen, als der vermeintliche Staub auf den Boden des Glases rieselte und sich wie in einem bizarren rückwärts ablaufenden Film wieder zur Form einer aus Messing nachgebauten Kakerlake zusammensetzte. Sie begann sich wirklich zu bewegen.
»Tatsächlich ist es sogar ein ganz besonders zähes kleines Biest«, sagte Nikola. »Aber das nutzt ihr nichts.« Er wandte sich direkt an Allison. »Vielleicht treten Sie besser noch ein paar Schritte zurück.«
Allison wirkte einfach nur verwirrt und auch ein bisschen empört, trat aber dennoch gehorsam so weit wie möglich vom Tisch zurück, und Nikola drehte den Schalter mit einem Ruck bis zum Anschlag.
Die Kakerlake explodierte. Wenigstens nahm ich das an, denn in einem Moment war sie noch da, im nächsten war das Glas zur Gänze von wirbelndem goldenem und anthrazitfarbenem Staub erfüllt, in dem eine Million winziger weißer Funken aufblitzten und sofort wieder erloschen.
Genau wie in mir. Es tat nicht wirklich weh, war aber so unangenehm, dass mir ein echter Schmerz beinahe lieber gewesen wäre: In meinem Hals, dem weichen Fleisch unter dem Kinn, der Schulter und einer dünnen Linie, die wie ein straff gespannter Draht schräg abwärts bis zu meinem Herzen führte, schienen ebenfalls zahllose winzige weiße Funken zu erblühen und gerade einen Sekundenbruchteil vor dem Moment wieder zu erlöschen, in denen sie mein Fleisch verbrennen und zu echtem Schmerz werden konnten. Etwas zupfte an meiner Haut, und für einen noch kürzeren, fast schon zeitlosen Moment hatte ich das grässliche Gefühl, von innen nach außen gestülpt und neu – aber nicht ganz richtig – wieder zusammengesetzt zu werden. Dann erlosch es auch schon wieder.
Jemand sagte etwas, das ich nicht verstand, etwas klirrte und schepperte, und das gesamte zusammengewürfelte … Zeug auf dem Tisch begann zu zittern, zu beben und zu klappern, jedes Teil auf seine eigene Art und Möglichkeit. Erst jetzt begriff ich, dass ich selbst der Urheber dieses misstönenden Konzertes war, denn ich hatte in meinem Schrecken den Tisch heftig angerempelt.
Niemand schien Notiz davon zu nehmen, und Nikola fuhr in fast schon anstößig fröhlichem Ton fort: »Aber ganz so zäh nun auch wieder nicht.«
Ich fuhr mir mit den Fingerspitzen übers Gesicht, stellte fest, dass es noch da war, und sah dann wieder auf das Glas hinab. Die Wolke aus Staub und messingfarbenen Splittern hatte sich wieder gesenkt und bildete nun eine flockige Ascheschicht auf seinem Boden.
»Und wenn Sie den Strom wieder ausschalten, setzt es sich erneut zusammen?«, vermutete Allison.
»Ich habe den Strom bereits ausgeschaltet«, antwortete Nikola und deutete auf den Schalter, der tatsächlich wieder am anderen Ende der Skala stand. »Wenn das Magnetfeld stark genug ist, zerstört es die Struktur der Maschinen. Ich nehme an, dass sie von Elektromagnetismus angetrieben werden. Und wenn er eine gewisse Stärke übersteigt …«
»… dann stolpern sie gewissermaßen über ihre eigenen Füße und zerstören sich selbst in ihrer Hast, sich wieder zusammenzusetzen«, führte ich
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