Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Titel: Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
wenn auch aus einem anderen Grund, der mir erst klar wurde, als ich die Zelle verließ und den leeren Stuhl drei Türen weiter sah. Ich hatte mein Gespräch mit Nikola und Watson eigens unterbrochen und war hier heruntergekommen, um mit Allison zu reden, und nun reichten ein wenig Schlaftrunkenheit und die Gier nach einer Zigarre, um sie mich einfach vergessen zu lassen?
    Umso entschlossener ging ich zu ihrem Zimmer, öffnete die Tür und tastete so lange an der Wand nach dem Lichtschalter, bis ich mich wieder erinnerte, dass Nikolas schöne neue Zeiten in diesem Teil des Instituts noch nicht Einzug gehalten hatten, und es hier noch Gas- und Petroleumlampen gab.
    In Ermangelung einer anderen Möglichkeit zog ich die Tür so weit auf, wie es ging, um das Licht vom Flur hereinfallen zu lassen, und sah immerhin einige vage Schemen. Offensichtlich war ich nicht der Einzige, dessen Körper irgendwann einfach mit Macht einen Teil des lange vorenthaltenen Schlafs zurückverlangte. Allison hatte sich auf der schmalen Liege zusammengerollt und die Decke bis über die Ohren hochgezogen, aber ich hörte ihre gleichmäßigen Atemzüge – und ein gedämpftes Schnarchen, wie ich es bei einer so zarten Person niemals erwartet hätte.
    Ich hatte nicht vor, sie zu wecken, blieb aber eine ganze Weile in der Tür stehen und versuchte mir über meine eigenen Gefühle klar zu werden. Es gelang mir nicht … und wie auch? Wenn ich all die Zeit abrechnete, die wir gekämpft, gelitten, um unser Leben gerannt (oder irgendwo eingebrochen) waren, dann kannten wir uns gerade einmal ein paar Stunden.
    »Verraten Sie mir, was Sie da tun, Inspektor?«, fragte eine Stimme hinter mir.
    Obwohl ich die Stimme erkannte, rechnete ich so fest damit, dem Blick einer äußerst entrüsteten Krankenschwester zu begegnen, dass ich einen Moment lang brauchte, eine passende Antwort zu finden.
    »Schlafen Sie eigentlich nie, Mulligan?«
    »Nur wenn ich freihabe, Inspektor«, antwortete Mulligan. Sein Blick gefiel mir nicht, beinahe noch weniger als sein Ton. »Was tun Sie hier? Das ist Miss Carters Zimmer.«
    »Und ich habe mich nur davon überzeugt, dass alles in Ordnung ist«, antwortete ich wenig originell. »Sollte nicht jemand auf sie aufpassen?«
    Mulligan sah einen Moment lang stirnrunzelnd auf den leeren Stuhl und schien über meine Frage nachzudenken. Dann nickte er. »Ja. Eigentlich sollte Schwester Chapel auf sie achtgeben. Das ist seltsam. Sie ist eigentlich sehr zuverlässig.«
    »Vielleicht musste sie zur Toilette.«
    Mulligan nickte zwar, schob mich aber trotzdem mühelos zur Seite und sah auf die schlafende Allison hinab. »Dann hätte sie mich rufen müssen!«
    »Manchmal ist es eilig«, versuchte ich zu scherzen.
    Fast schon zu meinem Erstaunen verzichtete Mulligan darauf, mich nun gewaltsam aus dem Weg zu schieben (was er zweifellos gekonnt hätte), sondern zwang sich zu einem unechten Lächeln und trat aus der Tür.
    »Wir warten einfach gemeinsam, bis die Schwester zurück ist«, schlug ich vor.
    Mulligan nickte zwar auch darauf nur wortlos, ließ es sich aber nicht nehmen, die Tür hinter sich bis auf einen kaum fingerbreiten Spalt zu schließen.
    »Wenn sich die Gelegenheit schon bietet«, begann ich im Plauderton, »dann kann ich Ihnen auch eine Frage stellen, die mir schon den ganzen Tag über auf der Zunge liegt.«
    Mulligan sah ein bisschen verunsichert aus. »Und … welche?«
    »Sie haben nicht zufällig eine Zigarre dabei?«
    »Wie?«, murmelte Mulligan.
    »Nun, so schlimm ist das auch wieder nicht … aber Sie wollten mir noch verraten, was Sie Miss Carter versprechen mussten.«
    »Inspektor?«
    »Das Ehrenwort eines Iren. Sie erinnern sich?«
    »Das tu ich, Inspektor«, antwortete Mulligan ernst. »Deswegen werde ich auch schweigen wie ein Grab und nicht über die Sache mit Miss Carter reden.«
    »Auch mit mir nicht?«
    »Vor allem nicht mit Ihnen, Mister Devlin.«
    Nicht nur, dass er mich ganz bewusst Mister Devlin nannte, ärgerte mich über die Maßen, sondern auch sein herausfordernder Blick. Ich setzte zu einer harschen Entgegnung an, um diesen unverschämten Burschen auf den ihm zustehenden Platz zu verweisen. Doch ich kam nicht dazu. Hinter der geschlossenen Tür erscholl ein einzelner, fast ein bisschen obszöner Laut, den ich in der ersten halben Sekunde nicht einmal einordnen konnte. Und als es mir gelang, war es mir eindeutig peinlich. Es war ein einzelner grunzender Schnarcher, wie ein schleimiges Bellen, das ich

Weitere Kostenlose Bücher