Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)
einfach nicht mit jemandem wie Allison in Zusammenhang bringen wollte.
Mulligan offensichtlich auch nicht, denn er sah regelrecht entsetzt aus, war dann mit einer einzigen Bewegung nicht nur wieder in Allisons Zimmer, sondern auch an ihrem Bett und riss die Decke herunter. Mein empörter Protest blieb mir im Halse stecken, als ich sah, wer darunter zum Vorschein kam.
Es war nicht Allison. Die Frau war alt genug, um ihre Mutter zu sein, und als ich sie das letzte Mal gesehen hatte, hatte sie mich wie eine ebensolche angefunkelt; mit ausgefahrenen Krallen und bereit, die Ehre ihrer Schützlinge gegen jeden zu verteidigen. Und selbstverständlich ganz besonders gegen mich.
»Jeannie Mac, Schwester Chapel!«, entfuhr es Mulligan. Hastig fiel er neben der Liege auf die Knie, ergriff sie mit beiden Händen an den Schultern und drehte sie herum. Chapel stieß einen weiteren grunzenden Schnarcher aus, machte eine müde Bewegung, wie um seine Hände beiseitezuwischen – und drehte sich wieder auf die Seite.
»Was ist mit ihr?«, fragte ich beunruhigt.
»Weiß nicht.« Mulligan hob die Schultern und sah sehr hilflos aus. »Ich glaube, sie … sie …«
»Schläft?«, schlug ich vor.
»Aber das ist völlig … unmöglich«, meinte Mulligan. »Sie ist … Schwester Chapel ist zuverlässiger als der Glockenschlag vor der Sonntagsmesse! Das kann nicht sein!«
Seit diese bizarre Geschichte angefangen hatte, waren mir eine Menge Dinge untergenommen, die eigentlich nicht sein konnten, aber das interessierte mich im Augenblick weniger.
»Und wo ist nun Miss Carter?«
Mulligan war so perplex, dass er sich einmal um seine eigene Achse drehte, als erwartete er, sie in einer Ecke stehen und über unsere Ratlosigkeit lächeln zu sehen. Dann stürzte er umso schneller an mir vorbei, wandte sich nach rechts und war schon am Ende des Ganges, bevor ich das Zimmer auch nur verlassen hatte.
Um ein Haar wäre er auf der Nase gelandet. Mit der rechten Hand den Schlüsselbund von seinem Gürtel reißend langte er mit der anderen nach dem Gitter, das den Gang vor ihm halbierte, um sich daran abzufangen, aber es bot ihm keinen Widerstand und daher auch keinen Halt. Das Gitter schwang mit einem erbärmlichen Quietschen auf, und Mulligan stolperte haltlos hinterher und klammerte sich zwar blitzschnell an den rostigen Metallstäben fest, bezahlte dafür aber mit ein paar übel geprellten Fingern, als die Tür mit einem gewaltigen Scheppern gegen die Wand prallte. Mit einem quietschenden Schmerzenslaut ging er zu Boden, riss die geprellte Hand hinter dem Gitter hervor und klemmte sie sich unverzüglich unter die Achsel.
»Wie zum Teufel ist sie an den Schlüssel gekommen?«, wimmerte er. »Die Tür war die ganze Zeit über abgeschlossen!«
»Das bezweifle ich«, flüsterte ich.
»Was soll das heißen?«, polterte Mulligan. »Das Schloss …« Er sprach nicht weiter, als er den Blick hob und feststellte, was ich schon zuvor gesehen hatte.
Das Schloss war nicht mehr da. Wo es sein sollte, fehlte ein ovales Stück aus dem Gitter, dessen Ränder so unregelmäßig gezahnt waren, als hätten Tausend winzige Stahltermiten sie herausgebissen. Statt mir das genauer anzusehen, fuhr ich herum und stürmte an Allisons Zelle vorbei, um auch die nächste Tür aufzureißen. Ich war nicht überrascht, den Raum dahinter leer vorzufinden.
Genauso wie den daneben und den daneben. Als ich die vierte Kammer inspizierte – mit demselben Erfolg –, kam mir Mulligan vom anderen Ende des Gangs entgegen, mit vollkommen verstörter Miene und um mindestens drei Nuancen blasser als noch vor einer Minute, sodass die zehntausend irischen Sommersprossen auf seinem Gesicht plötzlich wie winzige Messerstiche aussahen.
»Beim heiligen Patrick, das ist unmöglich«, brabbelte er immer und immer wieder. »Das ist ein Unding! So was passiert nicht!«
Wie gern hätte ich ihm zugestimmt, aber es blieb dabei: Abgesehen von Chip, der sich nun wieder in einem Zustand tiefster Ohnmacht befand, waren sämtliche Überlebenden verschwunden – selbst Jacobs, der ganz bestimmt nicht mehr die Kraft gehabt hatte aufzustehen, geschweige denn zu gehen .
»Aber sie können nicht an mir vorbeigekommen sein!«, beharrte er, noch bevor ich auch nur Gelegenheit fand, eine entsprechende Frage zu stellen. »Mein Zimmer ist gleich hinter dem Gitter, und ich hätte es gehört, wenn sie das Schloss aufgebrochen hätten!«
»Das haben sie auch nicht«, antwortete ich, obwohl mir nichts ferner
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