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Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Titel: Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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nach oben, schließlich nach rechts, und spätestens das war der Moment, in dem ich wieder einmal die Orientierung verlor und mich ernsthaft zu fragen begann, ob er vielleicht absichtlich jedes Mal einen anderen Weg nahm, damit ich mir nicht merken konnte, wo Watsons Büro denn nun genau lag.
    Das half mir, mir die Zeit für die nächsten geschätzten fünfundzwanzig Meilen zu vertreiben, bis wir endlich einen Korridor betraten, den ich als ebenjenen wiederzuerkennen glaubte, an dessen Ende Watsons Büro lag – hauptsächlich an den beiden uniformierten Männern, die beiderseits der Tür auf unbequemen Stühlen saßen und sich nicht einmal die Mühe machten aufzustehen, sondern uns nur gelangweilt bedeuteten hindurchzugehen.
    Ich trat ein, ohne anzuklopfen. Adler saß mit dem Rücken zur Tür da und drehte nicht einmal den Kopf zu uns herum, während Nikola und Watson immerhin ihr Gespräch unterbrachen und uns ein angedeutetes Nicken zukommen ließen. Zu meiner Überraschung gewahrte ich nicht nur zwei zusätzliche Stühle, die hereingebracht worden waren und hier auf Mulligan und mich warteten, sondern auch eine weitere Person, mit der ich nun wirklich nicht gerechnet hätte: Chip.
    Der Junge saß weit nach vorne gebeugt auf einem Stuhl, der ganz so aussah, als wäre er zu keinem anderen Zweck gebaut worden als dem, möglichst unbequem zu sein, und bot trotz der frischen Krankenhauskleidung und der (möglicherweise zum ersten Mal in seinem Leben) sauber gekämmten Haare einen jämmerlichen Anblick. Zugleich aber auch einen überraschend guten, wenn man bedachte, was hinter ihm lag. Er war ein zäher kleiner Bursche, das musste man ihm lassen, denn von Rechts wegen sollte er gar nicht mehr am Leben sein.
    Als hätte er meine Gedanken gelesen, erschien ein erschrockener Ausdruck auf Chips Gesicht. Er setzte sich gerade hin und hob an, um etwas zu sagen, doch Adler brachte ihn mit einer beiläufigen Geste zum Schweigen. Mit einer herrischen Handbewegung befahl er mir, mich zu ihm zu setzen. Ich zögerte so lange, bis mir Watson einen fast flehenden Blick zuwarf, und setzte mich auch dann so weit von Adler weg, wie es überhaupt nur ging – fast auf die Kante des Stuhles.
    »Mister Devlin«, begrüßte mich Watson mit einiger Verspätung. »Die Frage nach Ihrem Wohlbefinden erübrigt sich wohl. Konnten Sie wenigstens ein bisschen schlafen?«
    Ich nickte, wenn auch schon wieder schlechten Gewissens eingedenk der Tatsache, dass sowohl er als auch die beiden anderen aussahen, als hätten sie es nicht getan.
    »Wenigstens einer«, brummelte Adler denn auch prompt. Gut, ihm gönnte ich es.
    Gerade zerbrach ich mir den Kopf über eine entsprechend gehässige Bemerkung, als mir etwas auffiel, das ich wohl schon im allerersten Moment gesehen, aber irgendwie nicht realisiert hatte.
    Es war Nikola.
    Etwas stimmte nicht mit seinem Gesicht und auf den zweiten Blick auch nicht mit seinen Händen und vermutlich auch nicht mit seinem gesamten Körper. Er sah noch immer starr aus dem Fenster, doch das, was ich von seinem Gesicht erkennen konnte, glich eher einer Kraterlandschaft aus unzähligen winzigen Rissen, Schrammen und Wunden, die zur Hälfte verschorft und zur anderen noch nässende Untiefe waren.
    »Nikola, was um alles in der Welt haben Sie getan?«, keuchte ich.
    »Wenn Sie mich fragen, hat er eine besonders komplizierte Methode gefunden, sich umzubringen«, sagte Adler.
    Was ich ihm übel nahm, war nicht einmal das, was er sagte, sondern die Art, wie er es tat. Ich ignorierte ihn. Oder versuchte es immerhin. »Was ist nur in Sie gefahren? Warum haben Sie Ihre Maschine an sich selbst ausprobiert?«
    »Das hat er doch gar nicht«, stellte Adler belustigt fest. » Ausprobiert hat er sie an Ihnen.«
    Ich ignorierte ihn weiter. »Was haben Sie getan?«, fragte ich noch einmal. »Haben Sie den Verstand verloren, Nikola? Sie hätten sich umbringen können!«
    »Und um ein Haar wäre es ihm auch gelungen«, fügte Watson hinzu.
    Nikola war es offensichtlich leid, dass in seiner Anwesenheit über ihn gesprochen wurde, und drehte langsam den Kopf. Und nun erschrak ich wirklich. Vermutlich ganz bewusst hatte er sich so gesetzt, dass nur die weniger in Mitleidenschaft gezogene Hälfte seines Gesichts zu sehen war. Die andere war regelrecht verheert. Große aufgeplatzte Hautpartien wechselten sich mit verschorften Stellen und messerstichtiefen Wunden ab, und direkt über der Schläfe war ihm ein ganzes Büschel Haare ausgerissen

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