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Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Titel: Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Klirren zu transportieren. Doch das änderte nichts daran, dass mir mit jeder Stufe unwohler zumute wurde.
    Ein trübes Notlicht brannte, und die Luft roch wie nach einem Blitzeinschlag, war zugleich aber auch von süßlichem Leichengestank durchdrungen, der seine Ursache wohl unter einem blutigen Bettlaken hatte, das dergestalt quer in dem schmalen Gang lag, dass wir alle mit einem großen Schritt darüber hinwegsteigen mussten. Niemand hatte sich bisher die Mühe gemacht, Hendricks’ Leiche wegzuschaffen, was ich trotz allem einigermaßen befremdlich fand.
    Chip blieb stehen und sah stirnrunzelnd auf das besudelte Bündel hinab. Selbst unter dem Tuch war zu erkennen, wie schrecklich verstümmelt der Körper war, sodass ich die Hand ausstreckte, um Chip zurückzuhalten, als er sich danach bücken wollte. Ich wollte nicht, dass der Junge sah, was sich darunter verbarg.
    Chip streifte meine Hand jedoch ab und schlug das Laken mit einem Ruck beiseite, und mir wurde ein wenig flau, als ich sah, was darunter zum Vorschein kam.
    Wenn man es genau nahm, erkannte ich den Constabler nur noch an den Verletzungen, die er sich vor unser aller Augen zugezogen hatte. Sein Körper hatte sich in der typischen Embryonalhaltung zusammengekrümmt und war bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Ich hatte gehört, dass menschliche Körper schrumpfen, wenn sie verbrennen, aber mir nie vorstellen können (und es auch nicht gewollt), in welchem Ausmaß. Der verschmorte Leib vor uns sah eher aus wie der eines zehnjährigen Knaben, nicht mehr wie der Leichnam eines mehr als sechs Fuß großen, muskulösen Mannes. Haut und Uniform waren so sehr miteinander verschmolzen, dass es unmöglich zu erkennen war, wo verkohlter Stoff aufhörte und verschmortes Fleisch anfing. Es war ganz unzweifelhaft Hendricks, denn er hatte keine Hände mehr, und sein Kopf schien von gleich mehreren Kugeln regelrecht zertrümmert worden zu sein. Der Geruch war beinahe unerträglich, und ich war nicht sicher, ob ich in meinem ganzen Leben jemals wieder einen Irish Stew essen konnte, ohne mich augenblicklich übergeben zu müssen.
    »Was tust du da, mein Junge?«, fragte Watson. Ich hatte ganz selbstverständlich vorausgesetzt, dass ihm der Anblick nichts ausmachte, denn schließlich war er Arzt. Aber seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen stimmte das wohl nicht so ganz.
    Chip sah schweigend zu ihm hoch, richtete sich umständlich auf und ging auf die offen stehende Tür des improvisierten Labors zu. Zwar legte ich keinen Wert darauf, noch einmal hierher zurückzukehren, aber ich folgte ihm trotzdem und wurde mit einem Anblick belohnt, der noch deutlich schlimmer war, als ich ohnehin schon befürchtet hatte.
    Ich musste wohl das Spannendste verpasst haben, und eigentlich wäre das der Moment gewesen, mich zu wundern, dass wir alle noch am Leben und das Institut nicht bis auf die Grundmauern niedergebrannt war. Die Luft roch so scharf, dass sie wie mit Messern in meine Kehle schnitt. Es brannte nur noch eine einzige elektrische Lampe, die noch dazu in einem verwirrenden Takt flackerte, als wollte sie den Anblick endgültig in ein höllisches Panoptikum verwandeln.
    Nicht, dass es noch nötig gewesen wäre. Der Raum war nahezu zur Gänze ausgebrannt. Von Nikolas bizarrer Maschine war nur noch ein wirrer Haufen aus zerschmolzenem Metall und zu weißer Asche verkohltem Holz übrig geblieben, und hier und da war die Hitze so gewaltig gewesen, dass selbst der harte Ziegelstein der Wände geborsten war. In einer Ecke neben der Tür lag ein verbogenes Etwas, das ich mit sehr viel Fantasie als die Überreste des geschmolzenen Spinnenmonsters identifizierte, und dann gewahrte ich noch ein zweites, nur unwesentlich weniger verheertes Metallskelett ohne Hände und mit zerschmettertem Schädel.
    Etliche Sekunden lang stand ich einfach nur da und starrte den zerstörten Hendricks-Doppelgänger an, dann wieder das verbrannte jämmerliche Bündel, das hinter uns auf dem Boden lag, und tief in mir und nur ganz allmählich begann ich etwas zu begreifen, das ich im Grunde schon die ganze Zeit über gewusst und nur nicht hatte wahrhaben wollen.
    Trotzdem fragte ich: »Wolltest du mir das zeigen?«
    Chip nickte, ohne den Blick von dem zerstörten Metallskelett zu lösen, das sich auf dieselbe unheimliche Weise auf dem Boden zusammengekrümmt hatte wie sein ehemals lebendes Vorbild, nur dass es nicht geschrumpft war. Erst nach einer geraumen Weile wandte er sich zu mir um und wiederholte

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