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Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Titel: Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Kolosses. Jetzt war es – obwohl doch eigentlich heller Tag – so dunkel, dass selbst das gigantische Schiff beinahe unsichtbar zu sein schien. Das Gewitter hatte die Werft nun endgültig erreicht und tobte mit einer apokalyptischen Gewalt über unseren Köpfen. Alles, was zu sehen war, war das in den Augen schmerzende Gleißen der Blitze.
    Erschreckend viele Blitze und so hell, wie ich es nie zuvor erlebt hatte. Sie folgten in immer kürzeren Abständen aufeinander, sodass sich das titanische Schiff nun endgültig in einen schwarzen Abgrund aus Nichts verwandelte, der gleich einem gierig aufgerissenen Maul in der Wirklichkeit klaffte und sich jedes Mal ein wenig weiter geöffnet zu haben schien, wenn ein neuer Blitz die unnatürliche Nacht zerriss. Vielleicht hatten wir uns ja alle geirrt, und heute war nicht der Moment, in dem ich Allison befreite, sondern der Tag der Apokalypse, das Jüngste Gericht, das die Fanatiker und Verwirrten seit so langer Zeit in den düstersten Farben an die Wand malten.
    Der Wahnsinn, der vor uns lag, erfüllte mich mit einer Angst, der ich nichts entgegenzusetzen hatte und die in immer stärkerem Maße nicht nur mein Denken, sondern auch meine Bewegungen zu lähmen begann. Und offensichtlich nicht nur meine, denn auch Chip und meine beiden anderen Begleiter wurden immer langsamer.
    Zum Teil mochte das an dem fast schon arktisch anmutenden Sturm liegen, durch den wir uns quälten, aber besonders in Chips Fall bereitete mir diese Beobachtung doch zunehmend Sorge. Seine Bewegungen wurden immer schwerfälliger, und er sah sich zunehmend unschlüssiger um. Schließlich blieb er stehen, und sein Blick spiegelte nichts anderes als Ratlosigkeit.
    »Wohin?«, brüllte Mulligan. Eigentlich erriet ich das Wort mehr, als ich es verstand, denn das Heulen des Sturms und der mittlerweile fast ununterbrochen rollende Donner machten eine Verständigung beinahe unmöglich.
    Chip sah nach rechts, links und dann wieder nach rechts und schien völlig hilflos. Schließlich deutete er auf ein großes Gebäude, das halb hinter dem schwarzen Schlund der Titanic verborgen lag und im flackenden Licht der Blitze tanzte. Meine Furcht vergrößerte sich nochmals. Wir alle waren wie ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass Chip wusste, wohin wir uns wenden mussten, doch wenn das nicht stimmte, wie sollten wir Allison und die anderen dann jemals finden? Diese Werft war größer als so manche Kleinstadt auf unserer viel gepriesenen grünen Insel, und hier arbeiteten nicht nur ein paar Hundert, sondern Tausende von Menschen!
    Watsons Miene ließ mich vermuten, dass seine Überlegungen in dieselbe Richtung gingen, aber er beließ es bei einer auffordernden Geste, während er sich das Regenwasser aus dem Gesicht wischte, was vergebliche Liebesmüh war. Der Regen peitschte mittlerweile nicht nur fast waagerecht über das Werftgelände, sondern hatte meiner subjektiven Einschätzung nach auch die Qualität von Wasserstrahlen erreicht, wie sie moderne Feuerwehrspritzen verschossen. Chip sah weiter ratlos aus, was mich noch mehr beunruhigte, hob dann die Schultern und ging weiter. Was konnten wir schon anderes tun, als ihm zu folgen?
    Ich versuchte mir selbst Mut zu machen, indem ich mir sagte, dass bisher doch nahezu alles nach Plan verlaufen war. Wir hatten Adlers Bewacher übertölpelt, waren ungesehen hierhergekommen und mitten in das heftigste Gewitter geraten, an das ich mich erinnern konnte. Wir mussten einfach darauf bauen, dass unser Glück noch eine kurze Zeit anhielt und wir die Entführten fanden. Vielleicht gab es ja doch einen Gott, der die Hand über uns hielt.
    Nein. Er hatte es ganz eindeutig auf mich abgesehen. Ein letzter, noch einmal um einiges grellerer Blitz setzte den Himmel über uns in Brand und erlosch flackernd.
    Zusammen mit dem Gewitter.
    Der Regen hörte auf. Nicht wie ein normaler Regenfall aufhören sollte, indem er schwächer wurde und dann allmählich versiegte, auch nicht, als hätte sich der Wind gedreht und triebe die eisigen Schauer nun von uns weg, sondern so schlagartig und abrupt wie abgeschaltet. Dem letzten gleißenden Blitz folgten nur noch die grünen und sandfarbenen Nachbilder, die er in meine Netzhaut gebrannt hatte, und selbst der Donner verstummte einfach mitten im Ton, statt mit einem ärgerlichen Grollen zu verebben, was er doch eigentlich tun sollte. Es wurde so still, dass es in den Ohren dröhnte.
    Nichts von alledem war normal. So hörten Gewitter nicht auf,

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