Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)
Bus und vielleicht noch ein bisschen mehr in eine Mietdroschke investierte. Da ich meistens Zeit im Überfluss hatte und unnötige Ausgaben schon aus Prinzip scheute, wäre ich normalerweise wohl zu Fuß gegangen und verließ die Wohnung auch genauso zeitig, als hätte ich es vor. Stattdessen jedoch stieg ich an der ersten Haltestelle in den nächsten Bus (einen von der guten, alten Sorte, die von Pferden gezogen wurde) und investierte einen Gutteil der so gewonnenen Zeit – und etliche Fahrkarten – darin, wahllos in der Nähe des Flusses und damit nicht weit entfernt vom Titanic’s Dock herumzufahren, und die verbliebene halbe Stunde, um auf der Victoria Street eines der größten Kaufhäuser der Stadt aufzusuchen und in der Menschenmenge darin unterzutauchen.
Eigentlich verabscheute ich diese modernen Verkaufstempel ohne Seele, in denen es nur um grelle Farben und maximalen Umsatz ging und wo selbst die Verkäufer wie von Federwerken und Dampf angetriebene Puppen wirkten, und ich war auch kein Freund großer Menschenansammlungen. Aber aus meiner Zeit als Polizist wusste ich, dass sich ebenjene Menschenmengen und anonymen Konsumtempel so gut wie kaum etwas anderes dazu eigneten, unwillkommene Begleiter abzuschütteln.
Schon während meiner kleinen Odyssee mit dem Bus und später zu Fuß hatte ich mich immer wieder verstohlen umgesehen und war nahezu sicher, von niemandem verfolgt zu werden. Als ich nach einer weiteren halben Stunde am großen Werkstor von Harland & Wolff ankam, war ich vollkommen sicher. Wenn Adler jemanden abgestellt hatte, um mich zu beschatten, dann stand diesem jetzt eine ziemlich unangenehme Beichte bevor. Adler erteilte nur ganz selten Absolution.
Ich wusste nicht, ob Adler mich tatsächlich beschatten ließ, denn weder wollte mir ein stichhaltiger Grund dafür einfallen, noch passte ein so subtiles Handeln zu einem Mann wie dem frischgebackenen Captain, der eher die direkte Vorgehensweise bevorzugte; am liebsten unter Zuhilfenahme seines Spazierstocks. Aber Adler war alles andere als ein Dummkopf. Auch wenn ich es niemals laut zugeben würde, hatte er in all den Jahren doch das eine oder andere von mir gelernt, und eine meiner obersten Prämissen im Umgang mit einem Verdächtigen war es stets gewesen, immer unberechenbar zu bleiben.
Doch selbst wenn Adler einen Aufpasser für mich abgestellt hätte, der noch dazu geschickt genug war, mir unerkannt zu folgen, hätte er auf dem allerletzten Stück ohnehin keine Chance mehr gehabt.
Ich war ein wenig zu früh und hätte am liebsten im Schutz einer Fabrikmauer die restliche Zeit abgewartet, nur um auch ganz sicher zu sein, dass ich nicht verfolgt wurde, doch als ich um die letzte Ecke bog, war ich plötzlich sehr froh, es nicht getan zu haben.
Es musste wohl Schichtwechsel sein, denn ich fand mich unversehens in einer weiteren dicht gedrängten Menschenmenge wieder, nur dass sie dieses Mal nicht aus vornehm gekleideten Herren und herausgeputzten Damen der feineren Gesellschaft bestand, die bunte Dinge für viel zu viel Geld kauften, die sie nicht brauchten, sondern aus müden und zumeist abgerissen und verdreckt wirkenden Gestalten, die erschöpft von einem langen, anstrengenden Arbeitstag waren.
Und die mir unglücklicherweise auch ausnahmslos entgegenkamen, sodass ich nur noch mühsam und zuweilen unter Zuhilfenahme mehr oder weniger sanfter Gewalt von der Stelle kam.
Noch ein wenig desolater als zu dem Zeitpunkt, als ich aufgebrochen war, und deutlich außer Atem erreichte ich das Tor und damit den Punkt, an dem sich die aus allen Richtungen zusammenströmenden Arbeiter zu einem Knäuel ballten und es praktisch gar nicht mehr voranging – vor allem, wenn man in die entgegengesetzte Richtung lief. Für die letzten fünf Schritte brauchte ich nicht nennenswert weniger Minuten als für das ganze Stück zuvor und hatte anschließend noch ein paar blaue Flecken und Schrammen mehr.
Von Allison oder Nikola war keine Spur zu sehen, doch dafür begegnete ich den finsteren Blicken gleich dreier Männer in schwarzen Fantasieuniformen, die gewiss nicht durch Zufall denen der Belfaster Polizei weit genug ähnelten, um Raum für Verwechslungen und gewisse Assoziationen zu lassen. Die drei standen einfach nur da und machten nicht nur keinen Hehl daraus, wie misstrauisch sie die hinausströmende Menge beäugten, sondern einer von ihnen fixierte mich dazu ganz offen und machte Anstalten, mich zu sich zu winken. Doch bevor er die Bewegung zu Ende
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