Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Hand vor die Augen, als sich der Strahl einer wirklich starken Lampe auf mein Gesicht richtete. Sosehr mich das Licht auch blendete, erkannte ich dennoch die Mündung des Revolvers, der direkt auf meine Stirn zielte. »Nicht bewegen«, fuhr Captain Adler fort. »Und ganz langsam die Hände hoch, wenn ich bitten darf, alle drei. Sie sind verhaftet!«



9

    Es war weiß Gott nicht das erste Mal, dass ich eine Arrestzelle sah, und auch nicht das erste Mal, dass mir aufging, wie dunkel, kalt, klein und schlichtweg menschenunwürdig diese vergitterten Löcher waren. Das einzige Fenster, durch das jetzt die zögerlichen ersten Strahlen der Morgensonne drangen, war kaum größer als zwei nebeneinanderliegende Hände – und selbstverständlich trotzdem vergittert, hatte dafür aber kein Glas, sodass Kälte und Zugluft ungehindert Einlass fanden. Die Einrichtung bestand aus dem nackten Steinfußboden, der ebenso nackten Decke und der Luft dazwischen; und einer gemauerten Bank, die als Bett diente. Bis auf mein halbes Jahr Haft im Crumlin Road Gaol hatte ich keine eigene Knasterfahrung, und das war auch gut so. Was daumendicke Gitterstäbe bedeuteten, begriff man erst, wenn es zu spät war.
    »Wie lange wollen sie uns hier noch festhalten?«, quengelte Allison, ganz gewiss nicht zum ersten Mal, seit man uns unsanft hier hereinbugsiert und die Tür hinter uns ins Schloss geworfen hatte. Ich hatte aufgehört zu zählen, wie oft, und ich konnte auch nicht sagen, wie lange wir überhaupt schon hier drinnen waren. Nebst allem anderen, was wir bei uns getragen hatten (wie zum Beispiel meine gerade erst erbeuteten Zigarren), hatten sie mir auch die Taschenuhr abgenommen.
    Ich rechnete kurz nach. »Einbruch, versuchter Diebstahl, widerrechtliches Betreten und was ihnen sonst noch so einfällt … also ich würde sagen, fünf bis sieben Jahre. Vielleicht auch mehr.«
    Nikola verzog nur geringschätzig die Lippen, doch Allison, die auf der gemauerten Bank saß, hob mit einem Ruck den Kopf und starrte mich an. »Das ist ein Scherz.«
    »Nein«, antwortete ich. »Es sei denn, Sie sagen ihnen endlich, dass Sie Stanley Jacobs’ Nichte sind, und klären dieses Missverständnis auf.« Es war nicht das erste Mal, dass ich das sagte, und genau wie die Male zuvor tat sie auch jetzt so, als hätte sie gar nichts gehört.
    »Wir sollten einen Anwalt verlangen«, meinte Nikola. »Das steht uns doch zu, oder?«
    Ich nickte zwar, aber ich sagte zugleich auch: »Sie haben zu viele Kriminalromane gelesen, Nikola.«
    »Weil ich auf meinen Rechten bestehe?«, erkundigte sich Nikola. »Und ich lese keine Kriminalromane.«
    »Vielleicht sollten Sie das dann und wann tun«, antwortete ich. »Dann wüssten Sie, in welchen Schwierigkeiten wir stecken.« Ich sah Allison an, während ich das sagte, doch wenn sie die Frage, die sich in diesen Worten verbarg, überhaupt hörte, dann ignorierte sie sie genauso wie alle meine vorangegangenen, direkteren Versuche.
    »Was ist überhaupt mit Ihnen?«, fuhr Nikola fort. Er hatte die rechte Hand in der Jackentasche versenkt und fingerte nervös darin herum. Der einzige Moment, in dem er wirklich laut geworden war, war der gewesen, als ihm die Beamten seine geliebten Fundstücke abgenommen hatten. »Waren Sie nicht früher selbst einmal Polizist?«
    Ich fragte mich, woher er das wusste. Ich hatte es ihm nicht erzählt, und seit wir uns das erste Mal begegnet waren, hatte Allison es nicht erwähnt, und sie war auch nicht eine einzige Sekunde mit Nikola allein gewesen. »Ich bin als Constabler ausgeschieden«, sagte ich trotzdem. »Und ich weiß, wie es läuft.«
    »Und lassen Sie uns auch an Ihrem geheimen Wissen teilhaben, Constabler? «, fragte Allison.
    Ich versuchte ihren bissigen Ton zu ignorieren. Oder mir wenigstens einzureden, dass er nichts mit mir zu tun hatte, sondern einzig mit unserer misslichen Lage zusammenhing, die an unserer aller Nerven zehrte.
    »Ich fürchte, ich muss Sie enttäuschen«, antwortete ich. »Mein geheimes Wissen ist leider ziemlich beschränkt. Ich kenne weder das Polizeirevier hier noch die Männer, die Adler für seine schnelle Eingreiftruppe rekrutiert hat.«
    »Schnelle Eingreiftruppe?« , empörte sich Allison. »Um die Arbeiterklasse weiter unterdrücken und schmutzige Geschäfte besser schützen zu können?«
    Ich zuckte mit den Achseln. »Vielleicht. In jedem Fall verdanken wir Adlers Aufstieg zum Captain mehr oder weniger der Titanic . Denn sie war wohl der Grund dafür, dass