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Irre - Wir behandeln die Falschen - Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde

Titel: Irre - Wir behandeln die Falschen - Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Luetz Eckart von Hirschhausen
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dass nicht bloß psychische Probleme aufgetreten sind, sondern dass es das Gehirn als Organ akut erwischt hat. Die Evolution hatte sich schon etwas dabei gedacht, das Gehirn so gut einzupacken. Natürlich ist das Gehirn - zumeist - unser ganzer Stolz. Doch unser Denkorgan ist verletzlich, mimosenhaft verletzlich sogar. Und auf all solche Verletzungen reagiert es nicht besonders intelligent, sondern sogar ziemlich simpel und eintönig. Dem Gehirn ist es völlig egal, ob es gehauen, gequetscht, vergiftet oder sonstwie ungehörig behandelt wird. Es kann dann zwar alle möglichen merkwürdigen psychischen Phänomene produzieren. Im Kern reagiert es aber monoton. Wenn Menschen plötzlich oder immer weiter zunehmend desorientiert werden, wenn sie also nicht mehr wissen, wo sie sind, welches das Datum ist, in welcher Situation sie sich gerade befinden, wenn sie dann immer schläfriger werden, schließlich in Bewusstlosigkeit fallen, dann ist das der charakteristische Verlauf einer akuten organischen psychischen Störung. Dann hat es das Organ Gehirn irgendwie erwischt.
     
    Im Gehirn entsteht ein Tumor: Desorientierung, Schläfrigkeit, Koma. Im Gehirn blutet es: Desorientierung, Schläfrigkeit, Koma. Der Blutzucker ist viel zu hoch: Desorientierung, Schläfrigkeit, Koma. Der Blutzucker ist viel zu niedrig: Desorientierung, Schläfrigkeit, Koma. Das Gehirn wird mit einer Medikamentenüberdosis vergiftet: Desorientierung, Schläfrigkeit, Koma. Manchmal tut es auch schon der Alkohol: Desorientierung, Schläfrigkeit, Koma. Allerdings muss man oft nach solchen Hinweisen gezielt fahnden. Wenn ein Schizophrener plötzlich seine Wohnung nicht mehr findet, dann ist er wahrscheinlich entweder nicht schizophren oder nicht mehr bloß schizophren, sondern er hat noch eine zusätzliche Hirnschädigung, die schleunigst untersucht gehört. Wenn ein Depressiver immer schläfriger wird, dann ist das nicht die bekannte depressive
Antriebslosigkeit, dann hat er vielleicht einen Suizidversuch mit einer Überdosis an Medikamenten gemacht oder die Depression liegt an einer bisher übersehenen Hormonstörung, an einer Hirnblutung oder auch in diesem Fall an einem Hirntumor.
     
    All diese organischen psychischen Störungen oder körperlich begründbaren Psychosen, wie man in der deutschen Psychiatrie früher sagte, behandelt in der Regel nicht der Psychiater. Aber er muss sie möglichst schnell erkennen und die Patienten dann schleunigst an die richtigen Fachleute weiterreichen: an die Neurochirurgen, die einen Hirntumor oder eine Hirnblutung erfolgreich operieren können, an die Internisten, die die Hormonstörung professionell in den Griff bekommen, oder an die Intensivmediziner, die Vergiftungen gut behandeln können. Doch entscheidend ist die richtige Diagnose. Und es sind Sternstunden im Berufsleben des Psychiaters, wenn er die verzweifelten Angehörigen eines wegen Unterzuckerung zunächst merkwürdigen und dann bewusstlosen Patienten kurz aus dem Raum bittet, Zucker spritzt, so dass der Patient sofort erwacht und dann die verblüfften Angehörigen hereinruft. Eine vergleichsweise simple Diagnose, eine vergleichsweise simple Therapie, aber ein bemerkenswerter Effekt bei den Angehörigen.
     
    Nicht immer geht es so theatralisch zu. Da ist etwa der Patient, der sich monatelang mit einer Depression dahinquält und bei dem eine Schilddrüsenunterfunktion festgestellt wird. Nach Normalisierung der Schilddrüsenunterfunktion ist auch die Depression verschwunden.

2. Akuter Zoff - Was das Gehirn so alles übel nimmt
    Das alles waren psychische Störungen, die eine körperliche Ursache haben. Solche Störungen können akut sein oder chronisch, also dauerhaft. Akut ist zum Beispiel eine Gehirnerschütterung. Dazu gehört ein Schlag auf den Kopf, der zu einigen
Minuten Bewusstlosigkeit führt. Im Gegensatz zur allgemeinen Auffassung erhöhen kleine Schläge auf den Hinterkopf nicht das Denkvermögen. Sondern das Gehirn nimmt so etwas übel und stellt das Denken daher sogar zeitweilig völlig ein. Wenn der Patient dann wieder aufwacht, ist er einige Minuten lang desorientiert - wie sich das für eine akute organisch psychische Störung gehört - und findet dann mit etwas Übelkeit und allgemeinem Unwohlsein ins normale Leben zurück. Manchmal hinterlässt ein solcher Schlag auch kleine bleibende, im Computertomogramm sichtbare Schädigungen am Gehirn. »Stellen Sie sich vor, Ihr Schädel wäre eine Waschschüssel« - mit einem solchen Live-Experiment

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