Irre - Wir behandeln die Falschen - Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde
Durchgangssyndrom, in dem er optische, akustische oder szenische Halluzinationen erleben kann. Dabei kommen auch Lichterlebnisse vor, die begleitet sind von einem sehr angenehmen Gefühl. Solche Zustände treten manchmal vor oder nach epileptischen Anfällen auf. Dostojewski, der Epileptiker war, hat das beschrieben. Doch auch beim Herzstillstand können solche Erlebnisse auftreten. Nun bezeichnet der Volksmund den Herzstillstand gern als »klinischen Tod«. Das ist Unsinn, denn mit dem Tod hat das bei heutiger Medizintechnik gar nichts zu tun. Der Tod ist das irreversible Ende des Menschen. Ein vorübergehender Herzstillstand, der ja heutzutage vergleichsweise schnell wieder behoben werden kann, bedeutet nur eine zeitweilige Unterversorgung des Gehirns mit Blut. Doch in Verbindung mit dem reißerischen Wort vom »klinischen Tod« haben so genannte »Nahtoderlebnisse« von sich reden gemacht. Da gibt es dann Autoren, die nach dem Motto »Ich war tot und es war herrlich« ihre lichtvollen Durchgangssyndrome als spektakuläre Expeditionen ins ewige Leben verkaufen. Gewiss, durch jedes außergewöhnliche Erlebnis kann man so sehr existenziell berührt werden, dass man sich über den Sinn des Lebens sinnvolle Gedanken macht. Dann können auch solche »Nahtoderlebnisse« einen Menschen auf
erfreuliche Weise aus seinem öden alltäglichen Trott reißen und aufrütteln. Die Betrachtung eines solchen Ereignisses unter religiöser Perspektive ist also seriöserweise möglich. Doch dass einige Auserwählte sich schon mal den Sitzungssaal des Jüngsten Gerichts zur Unzeit vorher anschauen dürften, um darüber ausführlich Bericht zu erstatten, das lehrt weder das Christentum noch sonst eine gängige Religion. Nahtoderlebnisse sind aus wissenschaftlicher Sicht am plausibelsten zu beschreiben als Effekte geringer Hirndurchblutung, nicht mehr und nicht weniger.
3. Chronischer Ärger - Die postmortalen Eroberungen des Herrn Alzheimer
Während die akut organisch psychisch Erkrankten nach korrekter Diagnose häufig an andere Fachgebiete der Medizin abgegeben werden, bleiben die Menschen mit chronischen Störungen, die über Monate und Jahre zunehmen, zumeist in psychiatrischer Behandlung. Es gibt eine ganze Reihe von solchen chronischen Krankheiten, die das Gehirn als Organ immer weiter schädigen. Da sind zum Beispiel genetische Erkrankungen wie die Chorea Huntington. Diese Gehirnerkrankung heißt im Volksmund »Veitstanz«. Sie führt zu tanzartigen unwillkürlichen Bewegungen und zu psychischen Einschränkungen. Es gibt aber auch die im Laufe eines Lebens erworbenen Erkrankungen, wie etwa das Korsakow-Syndrom. Es tritt am häufigsten nach langjährigem übermäßigem Alkoholkonsum auf und zeigt eine zumeist dauerhafte schwere Gedächtnis- und Orientierungsstörung.
Die Störung, die in der Öffentlichkeit am meisten Furore gemacht hat, ist die Alzheimersche Erkrankung. Zu Recht, denn sie ist von allen chronischen organisch psychischen Erkrankungen bei Weitem die häufigste und auch volkswirtschaftlich in den kommenden Jahren die größte Herausforderung.
Als ich in der Psychiatrie anfing, war die Alzheimersche Erkrankung eine so genannte präsenile Demenz, eine Demenz also, die vor dem 65. Lebensjahr eintrat. Alle Demenzen mit höherem Anfangsalter galten, wenn nicht andere Ursachen gefunden wurden, als »senile Demenzen«. Alois Alzheimer hatte bei der nach ihm benannten Demenzform charakteristische Veränderungen in und an den Gehirnzellen gefunden, die man allerdings natürlich erst nach dem Tod der Patienten bei der Obduktion sicher feststellen konnte. So war schon damals die Alzheimer-Diagnose eine Ausschluss- und Verdachtsdiagnose. Man musste erst alle möglichen anderen Hirnkrankheiten ausschließen, um am Schluss den Verdacht auf eine Alzheimer-Demenz auszusprechen. Da stellte man in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts fest, dass so gut wie alle senilen Demenzen die gleichen Auffälligkeiten boten wie die präsenilen Alzheimer-Demenzen, und so eroberte der Breslauer Neuropathologe Alois Alzheimer 60 Jahre nach seinem eigenen Tod im Stil eines postmortalen Imperialismus den weitaus größten Bereich der Demenzen.
Demenz ist die irgendwann im Leben eintretende hirnorganisch bedingte Einschränkung vor allem der intellektuellen Fähigkeiten, aber auch von Aufmerksamkeit, Konzentration, Auffassung, Merkfähigkeit und Gedächtnis, sowie zeitlicher, örtlicher und situativer Orientierung. Ja,
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