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Irre - Wir behandeln die Falschen - Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde

Titel: Irre - Wir behandeln die Falschen - Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Luetz Eckart von Hirschhausen
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Krankengeschichte. Manche Psychiater fragen gleich zu Anfang nach dem Datum, nach dem Ort, an dem
man sich befindet etc. Das wirkt auf viele Patienten so, als würde man von vornherein an ihrem Verstand zweifeln. Und doch sind diese Fragen wichtig, wie man sehen konnte, und man darf sich nicht durch übertriebene Höflichkeit daran hindern lassen. So habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht, diese Fragen im Laufe des Gesprächs »einzustreuen«. Als ich also bei einer vornehmeren älteren Dame, die mit Verdacht auf Demenz eingeliefert werden sollte, mitten im Gespräch beiläufig fragte: »Ach sagen Sie, können Sie mir mal gerade sagen, welchen Tag wir heute haben«, da kam wie aus der Pistole geschossen das richtige Datum, allerdings mit dem lächelnden Zusatz: »Auch manchmal etwas durcheinander, Herr Doktor, nicht wahr?« Höflichkeit hat ihren Preis.
     
    Natürlich gibt es auch sonst witzige Szenen, die man mit Respekt meistern muss. Da war der Pfarrer, der immer wieder vergaß, dass er längst nicht mehr der Pfarrer am Ort war und fröhlich mit der Messe beginnen wollte, obwohl sein Nachfolger bereits am Altar stand. Da war der demente Chefarzt, den sein Chefarztkollege bei der Chefvisite einfach mitgehen ließ, weil ihm das sichtlich gefiel. Eher makaber war die Situation, als ein Mann seine Scheidung vergessen hatte und seine ihn immer noch besuchende Ex-Ehefrau in Schwierigkeiten brachte. Ein anderer Patient verkannte eine ebenso demente Mitpatientin als seine Ehefrau, was zu gewissen Friktionen führte. In solchen Situationen sind Schlagfertigkeit und Fantasie, aber auch eine gute Prise Humor gefragt. Es tut den Patienten nicht gut, wenn alle um sie Bemühten immer nur mit todernster pflichtbewusster Miene ihre Aufgaben versehen. Bei alldem muss man stets den Respekt vor dem Patienten wahren und vor allem nie die Unwahrheit sagen, auch das gehört zur Achtung vor den Patienten.
     
    Nicht die Psychiater sind die große Hilfe bei der Demenz. Bei der Diagnose sind sie unerlässlich. Doch dann sind oft speziell ausgebildete Pflegekräfte die besseren Experten, Sozialarbeiter, Ergotherapeuten, Krankengymnasten und so weiter. Vor allem aber sind es die Angehörigen, die bis zur Erschöpfung bei unseren
demenzkranken Mitbürgern Enormes leisten. In Zeiten, in denen der Patient die Angehörigen noch erkennt, sind sie unersetzlich, aber gerade deswegen sollten sie sich nicht überfordern, sollten auf ihre Kräfte achten und mit diesen Kräften wie ein Langstreckenläufer haushalten. Längst haben die Profis verstanden, dass die Entlastung und Unterstützung von Angehörigen von entscheidender Bedeutung ist. Gerontopsychiatrische Zentren haben die Aufgabe übernommen, umfassende Unterstützung bei wirklich allen anfallenden Problemen zu leisten. Dadurch kann für Patienten und Angehörige von der Diagnose an eine mittelfristige Lebensplanung erfolgen, bei der an jeder neuen Schwelle besondere Hilfen möglich sind.
     
    Kein Zweifel, auf diesem Feld wird sich in den kommenden Jahren die große Auseinandersetzung über die Fundamente unserer Gesellschaft abspielen. Wenn, wie manche Normale suggerieren, die computerähnlichen Eigenschaften des Menschen die entscheidenden sind, dann ist der menschliche Computer, wenn er dement wird, kaputt. Kaputte Computer werden in der Regel entsorgt: »Die Reparatur lohnt sich nicht.« Man muss zugeben, dass die Pflege demenzkranker Menschen Geld kostet, viel Geld. Nützlich im Sinn von geldwerten Leistungen sind sie für die Gesellschaft nicht mehr. Da ist es eine Versuchung, diesen Menschen den Ausgang zu zeigen. »Exit« heißt eine entsprechende Organisation in der Schweiz, die »kaputten« Menschen den Weg zum Tod ebnet. Das Vertrackte an all den Diskussionen um das Recht auf den eigenen Tod ist, dass eine gesetzliche Regelung solcher existenzieller Situationen keineswegs zum Recht auf den eigenen Tod führt, sondern in gewisser Weise zur moralischen Pflicht, sich umbringen zu lassen, sobald man der Gesellschaft oder den erschöpften Angehörigen zur unzumutbaren Last zu werden meint. Denn es ist dann ja problemlos möglich, sich aus dem Verkehr zu ziehen, man muss nur wollen... Wenn diese Grenze fällt, dann wird es eng, gerade für die demenzkranken Mitbürger. In einer solchen kalten Diktatur der auf ihre computerähnlichen Eigenschaften stolzen Normalen ist kein Platz für die Emotionalen, die Schwachen, die Empfindsamen und die Belasteten.

     
    »Ich möchte nicht auf die

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