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Irre - Wir behandeln die Falschen - Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde

Titel: Irre - Wir behandeln die Falschen - Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Luetz Eckart von Hirschhausen
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stand ein Sackgassenschild, das Dorf lag im Nebel. Alles wirkte ziemlich unheimlich. Ich wusste, dass der Patient der Auffassung war, kleine grüne Männchen würden ihn belagern, überall sah er sie auf den Zäunen sitzen. Er war der festen Überzeugung, sie wollten ihn fertigmachen. Fast konnte ich das in dieser nebligen Atmosphäre nachvollziehen. Und so waren der Patient und ich schließlich doch erleichtert, als wir im Krankenhaus ankamen. Es gibt Wahnsysteme voller fantastischer Vorstellungen von geradezu kosmischen Ausmaßen. Ein Patient verschenkte an mich regelmäßig ganze Galaxien, warnte mich vor intergalaktischen Bedrohungen und war bei der Mitteilung all dieser ihn bedrängenden unglaublichen Ideen doch stets höflich und liebenswürdig. Schizophrene Patienten umgibt manchmal eine beinahe sakrale Aura. Sie halten sich unbewusst die Menschen mit ihren allzu bedrängenden Emotionen vom Leib oder, besser, von der Seele, um ihre labile Ich-Umwelt-Schranke nicht unnötig zu irritieren. So kommt man ihnen nicht wirklich nah, bleibt in respektvollem Abstand, obwohl diese Patienten oft so anrührend sind, viel anrührender als manche plumpe schulterklopfende Normale.

     
    »Low-expressed emotions«, schwach ausgeprägte Emotionen, so haben amerikanische Studien das ideale Umfeld für Schizophrene charakterisiert. Wenn in der Familie dagegen »high-expressed emotions«, stark ausgeprägte Emotionen, herrschen, wird der Schizophrene statistisch häufiger und länger krank. Wenn ein schizophrenes Einzelkind von seinen besorgten Eltern immer genau beobachtet wird und auf diese Weise auch alle Nöte und Sorgen der Eltern mitbekommt, dann ist das nicht unbedingt gut für dieses Kind. Besser ist es, wenn eines von zehn Kindern schizophren ist, stets mit dabeisitzt, wobei sich aber niemand allzusehr um es kümmert.

3. Die Contergankatastrophe der Psychologie - Über Ursachen und Wirkungen
    Doch so etwas ist leichter gesagt als getan und vor allem leichter an der Universität erforscht als in der Familie gelebt. Was haben Eltern von Schizophrenen nicht alles über sich ergehen lassen müssen! Da war die Contergankatastrophe der Psychologie, nämlich die These von der »schizophrenogenen Mutter«. Die Psychoanalytikerin Frieda Fromm-Reichmann hatte diese These in die psychoanalytische Welt gesetzt. Sie besagte, dass ein bestimmtes Mutterverhalten zur Schizophrenie des Kindes führe. Das klang zunächst einfach nach einer möglichen wissenschaftlichen Hypothese. Doch diese These hatte dramatische Auswirkungen. Wir Psychiater lernen schizophrene Patienten in der Regel kennen, wenn sie bereits schizophren sind, und können dann versuchen, diesen Menschen zu helfen. Ich habe aber einmal erlebt, wie ein gesundes, vitales achtzehnjähriges Mädchen ausgeprägt schizophren wurde. Das gehört wohl zu den erschütterndsten Erfahrungen meines Lebens. Wenn ich mir vorstelle, eine Mutter erlebt das bei ihrem eigenen Kind, muss das noch erheblich erschütternder sein. Wenn ich mir dann aber vorstelle, man beschuldigt eine solche Mutter, sie sei daran schuld, so gehört das zum Schlimmsten an seelischer Grausamkeit, was ich mir ausmalen kann. Die Theorie von der »schizophrenogenen Mutter« führte zu zahlreichen
Muttersuiziden. Nach zehn Jahren hat die Psychoanalyse die Theorie verworfen, weil die angeblich krankheitsauslösenden Verhaltensweisen viel zu unspezifisch waren und darüber hinaus ganz unterschiedliche Auswirkungen hatten - aber die Mütter waren tot.
     
    Natürlich kann man gute Ratschläge geben, wie man mit schizophrenen Patienten umgehen soll: strukturiert, nicht zu bedrängend, nüchtern und nicht zu emotional. Aber machen Sie das mal als Eltern! Wenn Sie sehen, wie Ihr Kind sich merkwürdig verändert, sich immer mehr zurückzieht, womöglich alle Sozialkontakte abbricht, nicht annähernd mehr die gewohnten Leistungen bringt. Wenn also der »Knick in der Lebenslinie« eintritt, der vor allem schleichend sich entwickelnde schizophrene Erkrankungen kennzeichnet, dann reagieren Sie mal nüchtern und nicht zu emotional! Dann versuchen Sie mal, nicht »überprotektiv« zu sein! Die Verhaltensweisen der Eltern sind zumeist nicht Ursache, sondern Folge der Erkrankung.
     
    Die Schizophrenie ist im Wesentlichen eine ererbte Erkrankung. Aber auch mit diesem Ausdruck muss man vorsichtig sein. Fragen mich Angehörige: »Ist das erblich?«, so antworte ich immer zunächst mit »Nein!«. Denn bei dieser Frage liegt meist die

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