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Irre - Wir behandeln die Falschen - Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde

Titel: Irre - Wir behandeln die Falschen - Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Luetz Eckart von Hirschhausen
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nicht »befreit« werden will. Doch all solche Patienten werden in der Regel wieder völlig gesund. Als in einer großen Firma ein leitender Angestellter in der Probezeit
manisch wurde, duzte er seinen neuen Chef kumpelhaft und ging auch sonst stimmungsmäßig über Tisch und Bänke. Da halfen nach Abklingen dieser Phase die Befreiung von der ärztlichen Schweigepflicht und eine Erläuterung des Krankheitsbildes durch einen Psychiater, dass dem Patienten nicht gekündigt wurde. Denn Maniker werden wieder ganz gesund. Und so behielt die Firma einen dankbaren hochmotivierten Mitarbeiter und der Patient seinen Job.
     
    Wieder mal war eine uns gut bekannte manische Patientin eingeliefert worden. Sie war zwar heiterer Grundstimmung, aber auch ein bisschen gereizt. Die gereizte Manie ist die eher unangenehme Variante der Erkrankung. Jedenfalls hatte sie zu Hause randaliert und war gegen ihren Willen zur Aufnahme gekommen. Wir mochten sie besonders gern, denn sie hatte gerade in der manischen Phase eine blühende Fantasie, machte immer wieder originelle, leider oft auch entlarvende Bemerkungen über unsereins und mischte mit allerlei Schabernack die ganze Station auf. Wir behandelten sie natürlich gut und es ging ihr besser. Da bat sie darum, Ausgang im Krankenhausbereich zu bekommen. Wir dachten uns nichts Besonderes dabei, hatten aber nicht im Blick, dass der »Krankenhausbereich« für eine Manikerin erheblich weiter reicht, als wir uns das so vorgestellt hatten. Und so traf nach etwa einer Stunde ein dringender Anruf aus der örtlichen Bundeswehrkaserne ein. Der wachhabende Offizier war in höchsten Nöten: Bei ihnen befinde sich eine »entlaufene« Patientin von uns, sie tanze zur Zeit auf dem Tisch des Wachhabenden, ob wir nicht ein paar »Wärter« schicken könnten, um die Patientin wieder »in die Anstalt« - damit meinte er uns - zu »verbringen« (Bundeswehrdeutsch). Wir machten uns den Spaß, die zartestgebaute Schwesternschülerin in die Kaserne zu schicken, und die brachte die Patientin in aller Ruhe wohlbehalten wieder zu uns zurück. Die Patientin hatte den Ausflug außerordentlich genossen, die Bundeswehr war mit den Nerven am Ende. Man stelle sich vor: Über 500 bis an die Zähne bewaffnete Männer und eine unbewaffnete Patientin von uns! Seitdem glaube ich nicht mehr an die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland...

     
    Es ist oft schwer, Maniker zu einer Behandlung zu bewegen, denn sie fühlen sich ja gerade nicht krank. Das beinhaltet auch ein ethisches Problem. Darf man Menschen, die das eigentlich gar nicht wollen, behandeln? Zumal Maniker nachher im gesunden Leben die manischen Phasen als recht farbige Teile ihres Lebens im Gedächtnis behalten. Doch viele Patienten ruinieren sich in einer vergleichsweise kurzen Phase das ganze Leben. Sie werfen ihr Geld hemmungslos zum Fenster heraus, legen sich mit allen möglichen Menschen an, gehen fremd, vergrätzen ihre Freunde. Am Ende der manischen Phase stehen sie dann mitunter vor einem Scherbenhaufen. Und so schließt sich an die Manie nicht selten eine depressive Nachschwankung an, die ganz handfeste reale Gründe haben kann. Während die Mitmenschen einem Depressiven gegenüber ein natürliches Mitgefühl haben, ist das bei der Manie ganz anders. Der Maniker wirkt nicht bedauernswert, sondern er nervt mit seiner penetranten Heiterkeit oder Gereiztheit. Maniker lösen keinen natürlichen Hilfsimpuls aus. Unter der Depression leidet vor allem der Patient, unter der Manie vor allem die Umgebung. Doch nach der Phase sieht der Patient sehr klar, was er angerichtet hat. Man arbeitet also als Arzt in diesem Fall im mutmaßlichen Auftrag des nach der Phase wieder gesunden Patienten. Und wirklich sind die Patienten dem Arzt und auch den inzwischen kundigen Angehörigen in der Regel nach Abklingen der Phase für all die Bemühungen dankbar, einen nicht krankheitseinsichtigen Patienten vor dem Schlimmsten bewahrt zu haben.
     
    Ich erinnere mich an den eindrucksvollen Vortrag eines liberalen holländischen Psychiaters. Er berichtete über eine manische Patientin, die einen ganzen Ort gnadenlos tyrannisierte. Man griff nicht ein, weil man ja liberal war. Die Frau lief schließlich nackt über die Dorfstraße und verlor jede Hemmung. Da endlich entschloss man sich, sie gegen ihren Willen in die zuständige Psychiatrie einzuweisen. Dort lehnte sie jede Behandlung ab, ließ sich auf der Station distanzlos mit Männern ein. Wochenlang hielt man die

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