Irre - Wir behandeln die Falschen - Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde
Eigentlich eine Frechheit, Vöjelchen, dass ihr Männer euch immer die besseren Worte unter den Nagel reißt. Du hast übrigens deine Fingernägel nicht geschnitten, du musst dich ein bisschen besser pflegen... Du sagst ja gar nichts, da geh ich lieber wieder...« »Fühlen Sie sich eigentlich krank?« »Krank? Wie kommst du denn darauf? So gesund wie jetzt war
ich noch nie! Du bist zwar Professor, aber du kennst dich nicht aus. Gesunde Menschen als krank zu bezeichnen, du willst ja bloß deine Betten belegen. Ich bin so kreativ wie nie. Deswegen komme ich gar nicht mehr zum Schlafen. Gestern Nacht habe ich einen Roman geschrieben, da bist du platt...« »Haben Sie noch etwas Wichtiges zu sagen?« »Nee, ich hab jetzt auch keine Zeit mehr, ich werde noch woanders gebraucht, tschüss Leute... wie heißt du denn da mit der geilen Frisur?... Ist auch egal, ich bin weg, passt schön auf, vom Vöjelchen kann man viel lernen...« Sprang auf, schnappte ihr Handtäschchen, wirbelte es wieder um den Zeigefinger und verließ unter dem herzlichen Beifall von uns Studenten den Saal.
Professor Vogel musste gar nicht mehr viel erklären, das war unverkennbar eine heitere Manie. Sie war vom Hölzchen aufs Stöckchen gekommen. Ideenflüchtig nennt man so etwas, denn die sehr lockeren Assoziationen kann man noch einigermaßen nachvollziehen, wogegen die Zerfahrenheit von Schizophrenen richtige Gedankensprünge meint. Während des lebendigen Gesprächs saß der Professor locker in seinem Sessel, hatte zeitweilig die Hände im Nacken verschränkt und war auch hier, wie bei der depressiven Patientin, durch seine Körperhaltung bemüht, Mitgefühl zu zeigen, denn zum Reden kam er selbst ja kaum. Der Umgang mit Manikern setzt viel menschliches Fingerspitzengefühl voraus. Einerseits können Maniker hinreißend witzig sein, und dann verdienen sie auch das ehrliche Lachen des zuhörenden Therapeuten. Andererseits muss man sich immer vor Augen halten, dass sich ein Mensch hier oftmals bis über die Grenze der Peinlichkeit hinaus exhibitioniert. Später wird er sich an all das erinnern, auch gegebenenfalls an das hämische Lachen des ungehobelten Behandlers. So ist der Umgang mit manischen Patienten immer eine Gratwanderung, bei der man versucht, eine wertschätzende Beziehung zum Patienten zu halten, aber auch stets die Würde des Patienten achtet. Da ist dann Kompromissbereitschaft gefragt. Man muss sich nicht alles gefallen lassen, aber man hat zu berücksichtigen, dass die distanzlosen Bemerkungen des Patienten krankheitsbedingt sind. Maniker sind in ihrer Phase ziemlich fix im
Hirn. Ihnen fallen tatsächliche Fehler wirklich auf, aber sie haben keinerlei Hemmungen, das sofort jemandem an den Kopf zu werfen, und können unsereinen dabei ganz schön in die Bredouille bringen.
Die heitere Stimmung geht mit einem Hochgefühl einher, das sich bis zum Größenwahn steigern kann. Ich erinnere mich an einen sehr netten, etwas schmächtigen und immer außerordentlich korrekten Bankangestellten, der erstmals von einer Manie überrascht wurde. Zwar begann er seine größenwahnsinnigen Beurteilungen von allem und jedem stets mit der Floskel »Ich als Mensch und Buchhalter...«, doch sein Ego war dennoch ziemlich gigantisch. Er konnte sich dann nie entscheiden, ob er nun amerikanischer Präsident, Generalsekretär der KPdSU in Moskau oder Papst sein sollte. Er ging aber in stets freundlichem Ton davon aus, dass wir Normalsterbliche gefälligst darauf zu warten hätten, bis er sich für die geeignete Spitzenposition entschieden habe. Dennoch nahm er Medikamente ein, und so konnte er langsam wieder Bodenhaftung bekommen - bevor er sich entschieden hatte, welche Weltstellung seinem inneren Gefühl am ehesten entsprach. Am Schluss war er wieder gesund. Und da fand er wieder, es gebe einfach kein größeres Glück als - Buchhalter zu sein.
Nicht immer ist es einfach, eine Manie zu diagnostizieren. Ob es sich zum Beispiel um einen heiteren, aber ganz normalen Rheinländer handelt oder um einen behandlungsbedürftigen Kranken, dazu ist man nicht selten auf die Aussagen der Angehörigen angewiesen - übrigens vor allem für die Frage, ob der Patient wirklich wieder auf dem Teppich ist.
Immer wieder machen Maniker Schlagzeilen. Eine nicht aufgeklärte Öffentlichkeit amüsiert sich natürlich, wenn ein Rechtsanwalt in Cowboykostümierung mit gezogener Pistole in einen Nachtclub stürmt, um dort eine Bardame zu »befreien« - die aber gar
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