Irrfahrt
Back. Nur angegurtet konnten die Männer auf der Brücke ihren Dienst versehen. Völlig durchnäßt kletterten Koppelmann und Bootsmann Huhn nach unten. Seegang sieben. Aus den Wettermeldungen ging hervor, daß ein Wirbelsturm über den Atlantik fegte. Sein Zentrum hatte den Geleitzug erreicht. Jeder Angrif f war sinnlos.
Als der Sturm weiter auffrischte, wurde ein Dampfer in geringer Entfernung sichtbar. Unvermutet tauchte er aus einer Regenwolke auf. Das kleine Fahrzeug wurde arg hin und her geschüttelt.
Thieme versuchte auf Sehrohrtiefe zu kommen. Eng preßte er sein Auge an die Gummikappe der Okularmuschel, aber vergebens. Immer wieder schnitt sein Periskop in der hohen See unter; nur für Bruchteile von Sekunden hatte er freie Sicht.
Er ließ den Leitenden Ingenieur holen und stellte ihn heftig zur Rede. Der Ingenieur gab weitschweifig alle möglichen technischen Erläuterungen. Inzwischen war der Einzelfahrer hinter der nächsten Regenwolke auf Nimmerwiedersehen verschwunden.
Der Kommandant tobte. «Aus achthundert Meter hätten wir einen Fächer knallen müssen! Dazu hätte die Horchpeilung ausgereicht! Einer hätte bestimmt getroffen!» Er war nahe am Heulen: Ausgerechnet ihm mußte das passieren.
Thieme verkroch sich in sein Schapp. Niemand ging zu ihm. In einer solchen Stimmung war er nicht ansprechbar. Die Männer atmeten auf. Wenigstens für eine Stunde waren sie vor dem Alten sicher.
Huhn und Koppelmann zogen sich in aller Gemütsruhe trockene Sachen an. Dabei erzählte Huhn von seinem Leben. Bevor er zur Kriegsmarine kam, war er Kapitän auf eigene Rechnung gewesen und hatte einen Fischdampfer unter sich gehabt. Auf der Doggerbank fing er Heringe. Koppelmann hatte sich dieses Handwerk wesentlich einfacher vorgestellt. Zum erstenmal hörte er von Schwierigkeiten mit dem Geschirr, von Löchern im Netz und einem abgerissenen Steert.
Das Fangen ging ja noch, aber der Verkauf! Raffinierte Händler ließen in den schlimmen Jahren der Weltwirtschaftskrise die Preise ins bodenlose fallen. Viele Monate lag Huhn mit seinem Dampfer still; für derart erbärmliche Preise konnte niemand Heringe fangen. Seine Besatzung erhielt eine kümmerliche Arbeitslosenunterstützung. Huhn steckte tief in Schulden; er mußte jahrelang schuften, bis der klapprige Dampfer wieder ihm gehörte.
Helmut war nachdenklich geworden. Für ihn, der aus einem gesicherten bürgerlichen Milieu stammte, war das ein Blick in eine völlig andere Welt.
Nach genau einer Stunde erschien der Kommandant wieder im Turm. Der «ausgelassene» Dampfer wurde wie auf Kommando nicht mehr erwähnt.
Am Nachmittag hörten die Funker auf der Welle des britischen Verbandes eine unverschlüsselte Meldung mit. Offenbar gab es Schwierigkeiten bei der Verständigung, denn die Ansage wurde mehrfach wiederholt. Ein Amerikaner, der die Worte regelrecht zerkaute, sagte etwas von einem vernichteten Unterseeboot: «Catalina USNX 84 killed German submarine. Position ... »
Diese Kenntnis war alarmierend. Bisher hielten sich die Catalina-Flugboote nahe der Küste. Jetzt aber hatte man es drüben durch irgendwelche Kunstgriffe fertiggebracht, den Aktionsradius der Maschinen zu vergrößern und sie weiter aufs Meer zu schicken. Damit sanken die Chancen der Boote auf ein Minimum.
Für dreiundzwanzig Uhr war der konzentrische Angrif f auf das Geleit befohlen. Thieme legte zwanzig Umdrehungen zu, um rechtzeitig an Ort und Stelle zu sein. Es war der 4. Mai. Da es um diese Jahreszeit in so hohen Breiten nie ganz dunkel wurde, kam nur ein Unterwasserangrif f in Betracht.
Kurz vor dem Wachwechsel um zwanzig Uhr wurde die erste Rauchfahne am Horizont gesichtet. Das mußte einer der Stragglers vom Geleit sein. Thieme setzte sich vor und beobachtete den alten Frachter: Schiffsklasse 1s1, geschätzte Größe zweitausend Tonnen. Er gab sich keine Mühe, den Dampfer näher anzusprechen. Sicherlich war er durch die U-Boot-Meldungen der letzten Tage gewarnt und würde scharf Ausguck halten. Auf keinen Fall wollte Thieme vor der angesetzten Zeit abdrücken und sich womöglich die gesamte Meute der Begleitschiffe auf den Hals ziehen.
Mit hoher Fahrtstufe war es gerade zu schaffen, bis zur befohlenen Uhrzeit günstig zu stehen. Der kleine Dampfer lief einen primitiven Zickzackkurs, der ihn selbst mehr behinderte als das angreifende Boot. Zwei Torpedos wurden bereitgemacht; ein Fächer aus sechshundert Metern konnte kaum danebengehen.
Pünktlich auf die Minute rauschten die
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