Irrfahrt
Boot hing schon merklich nach achtern durch. Da wurde im Horchraum der nächste Angrif f des Zerstörers gemeldet. Rechtzeitig nahm Thieme Anlauf und wollte entkommen. Allerdings hatte man oben mit der Bewegung des getauchten Bootes nach der Backbordseite gerechnet. Kurz vor dem Wurf machte der Zerstörer eine Wendung und stand wieder genau über seinem Gegner.
Ein ohrenbetäubender Knall ertönte im Vorschiff. Wasser begann mit scharfem Strahl einzudringen, völlige Dunkelheit breitete sich aus. Nur die Zentrale meldete gleichmütig ihre Werte von der Tiefenanzeige: achtzig Meter, neunzig Meter, dann hundert. Das Boot sackte ab.
Fieberhaf t arbeiteten die Elektriker. In den vorderen Abteilungen wurde versucht, den Wassereinbruch zu lokalisieren. Im Schein der Taschenlampen war das bei der gefährlichen Krängung ein schwieriges Unternehmen. Schon zweimal hatte der Kommandant ungeduldig gefragt, was denn los sei. «Rohr eins macht Wasser», erhielt er zur Antwort.
Aber das sollte nicht die einzige Hiobsbotschaf t sein. Ein Tank war angeschlagen, die Kompaßanlage ausgefallen. Damit wurde jegliche Orientierung unmöglich. Schon mit dem angeschlagenen Boot wäre die Heimfahrt ein Problem gewesen, ohne Kompaß war sie ein Kunststück, das nur selten gelang.
Da auch das Horchgerät nicht mehr funktionierte, wurde die Korvette erst bemerkt, als die Schraubengeräusche fast über dem Boot standen.
Doch sie hatten noch einmal Glück im Unglück. Die Bombenserie lag zu tief. Das Boot wurde nach oben gedrückt und in schräger Fahrt durchs Wasser geschoben. Bei dreißig Meter kamen die Tiefenmesser zum Stillstand. Wenn jetzt der Zerstörer angreift, sind wir verloren, dachte Oberleutnant Berger.
Die geringe Tiefe des Bootes war natürlich von den Verfolgern bemerkt worden. Was Berger befürchtete, traf ein: Der Zerstörer fuhr seinen vierten Angriff. Um das festzustellen, brauchte man kein Horchgerät. Niemand hätte die gewaltige Maschinenkraf t des wieselschnellen Fahrzeuges überhören können.
«Dreimal voll voraus!» hatte Thieme befohlen, aber das Boot setzte sich nur langsam in Bewegung. Der Versuch, auf größere Tiefe zu kommen, mißlang. «Vorderes Tiefenruder klemmt!» rief die Zentrale durch das Rohr. «Alle Mann voraus!» befahl der Leitende Ingenieur. Gehorsam begaben sich alle entbehrlichen Männer in die vorderste Abteilung. Bei der Dunkelheit und den verschiedenen Wasserständen in den teilweise vollgelaufenen Abteilungen war das Vorwärtskommen sehr mühsam.
Bis zum äußersten bog sich der Schiffsrumpf, als der scharfe Knall der Detonationen losdonnerte. Mit schrillem Kreischen sprangen einige Nieten leck. Die Männer klammerten sich irgendwo fest, um nicht gegen Wände oder Schotten geschleudert zu werden. Einige stöhnten, sie waren durch umherfliegende Werkzeuge verletzt. Der Torpedomaat Will sackte ohnmächtig zusammen; ein Schraubenschlüssel war ihm gegen die Schläfe geprallt.
Durch den enormen Druck wurde das Boot nach unten befördert. Siebzig, achtzig, neunzig Meter. Zögernd kamen die Meldungen: «Wasser läuf t aus dem achteren Torpedoraum in die Maschine ... Steuerbord-Diesel aus den Fundamenten gesprungen ... Lenzpumpen arbeiten nicht ... » Immer noch hing das Fahrzeug stark nach achtern durch. Es war kaum möglich, manche Räume zu durchqueren.
Wenigstens setzte die Beleuchtung wieder ein. Viel schwächer brannte sie jetzt. Ein großer Teil der Batterieleistung war für die Ausweichmanöver verbraucht worden. Im fahlen Lichtschein wirkten die Gesichter der Männer käsig. Koppelmann erschrak. Der Kommandant sah verfallen aus, wie fünfzig, dabei war er erst dreiundzwanzig.
Thieme hatte sich nur ein paar Sekunden gehen lassen. Seine Energie kehrte zurück, steigerte sich zu verbissenem Trotz. Er wußte am besten, daß ihre Lage äußerst schwierig, wenn nicht gar hoffnungslos war. Aber er würde nicht aufgeben. Niemals!
«Wir müssen die Trimmlage wiederherstellen», sagte er zu Berger.
«Mit ausgefallenen Pumpen?»
Scharf wies der Kommandant seinen ersten Offizier zurecht. «Das kann ich nicht ändern! Die Leute sollen eine Kette bilden und das Wasser in die vorderen Abteilungen bringen!»
Der I WO holte die Männer zusammen. Leere Marmeladeneimer, Segeltuchpützen und eilig ausgeräumte Werkzeugkästen mußten herhalten, um das Achterschif auszuösen. Dort stand das Wasser schon einen Meter hoch. In den anderen Abteilungen reichte es bis zum Knie, günstigenfalls bis zum
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