Irrfahrt
einmotorige Maschine. Ganz komisch sah sie aus.»
Thieme erklärte die Brückenwache für durchgedreht. «Einmotorige Maschine, mitten im Atlantik! Wo soll die gestartet sein, ihr Heinis ... » Er gab Befehl zum Auftauchen, stieg allein durch das enge Luk, kam aber sofort wieder herunter. In seinem Gesicht malte sich grenzenlose Verblüffung.
Lange blätterte der Kommandant im Typenkatalog. Schließlich zeigte er auf eine Blackburn Skua. Koppelmann mußte die genaue Bezeichnung in der Kladde notieren: «Vielseitig einsetzbare Maschine, vorzugsweise für Flugzeugträger konstruiert.» Allmählich dämmerte ihm, was hier los war. Der Konvoi hatte beim Eindringen in die Zone der U-Boot-Angriffe Verstärkung durch einen kleinen Flugzeugträger erhalten. Pausenlos kontrollierten seine Aufklärer den Seeraum rund um das Geleit.
Thieme knirschte mit den Zähnen. Sein Boot war festgenagelt. Als die Nacht anbrach, stand er querab vom Geleit. Mit hoher Fahrt versuchte er sich davor zu setzen. Kaum wurde es Morgen, drückten ihn die Aufklärer wieder unter Wasser. Mehrmals ließ er kurz auftauchen, immer waren die verdammten Skuas am Himmel. Erst abends war die Luf t völlig rein.
Am dritten Morgen hatte er sich dem Geleit bis auf zwanzig Meilen genähert, wurde aber im Laufe des Tages durch die fast ständige Unterwasserfahrt um dreißig Meilen zurückgeworfen. Über Nacht konnte er die Hälfte davon aufholen, dann begann das Spiel von neuern. Thieme sah ein, daß es bei dieser Fliegertätigkeit nicht zu schaffen war. Noch einen vierten Tag zog er dem Geleit nach, ohne die geringste Aussicht auf Erfolg. Abends kam der erlösende Funkspruch: «Angrif f auf luftgeschützten Geleitzug aufgeben».
In diesen letzten Apriltagen sammelte der BdU alle Kräfte, um einen größeren Konvoi anzugreifen, der südlich von Island stand und unter der Bezeichnung ONS-5 nach Neufundland unterwegs war. U-Boote hatten ihn entdeckt, kurz nachdem er aus dem Gebiet der Luftsicherung von Island entlassen war. Für die Angriffe standen mehrere Tage zur Verfügung. Wenn es nicht gelang, diesen Geleitzug fern jederLuftunterstützung zu knacken, hatten weitere Einsätze im Atlantik überhaupt keinen Zweck mehr.
Soweit Thieme dem knappen Text entnehmen konnte, befanden sich drei Dutzend Boote unter der Tarnbezeichnung «Gruppe Fink» im Anmarsch auf das Geleit. Ein Fühlungshalter hatte mit einem glücklichen Schuß, der als Fächer aus großer Entfernung abgefeuert wurde, einen Frachter torpediert. Dann war der Konvoi in eine Nebelbank eingetaucht, und die Fühlung riß ab.
Vermutlich war der Verband nach Süden abgedreht. Dort ließ der BdU seine Boote eine VorpostenIinie bilden. Die Rechnung ging auf. Gegen Mittag meldete ein Boot Rauchfahnen in seinem Planquadrat. Von allen Seiten rückten nun die grauen Wölfe an.
Noch einmal führte das Geleit eine Schwenkung durch, um den Verfolgern zu entgehen. Thieme stand plötzlich achteraus statt querab vom Konvoi. Entsprechend seinem bewährten Grundsatz ließ er von Oberleutnant Berger einen Kurs austüfteln, der etwaige Nachzügler treffen mußte.
In der Messe entspann sich eine Diskussion, warum manche Dampfer zurückfielen. Gutgelaunt gab Thieme Auskunft. Er witterte die Beute. In der Nähe des Geleits war er wieder der kühle Taktiker, nicht mehr der mürrische Kommandant eines erfolglosen Bootes.
Die britische Marine hatte Vorschriften über die Mindestgeschwindigkeit für das Mitlaufen in einem Geleit erlassen. Bei den Testfahrten legten die Reeder nicht selten einen großen Schwindel auf. Sicherheitsventile wurden dichtgesetzt, Kessel ungenügend mit Wasser gefüllt, Lichtmaschinen außer Betrieb gesetzt, um die Anforderungen auf der Statutmeile gerade noch zu erfüllen. So mogelte sich mancher Dampfer ins Geleit, der eigentlich nicht die Qualifikation dazu besaß. Auf See stellten sich dann kleine Havarien ein. Der Dampfdruck mußte auf den zulässigen Wert heruntergesetzt werden, Kesselrohre waren verstopft, mitunter wurde ein Kessel für mehrere Stunden völlig stillgelegt, gereinigt oder repariert. Es war nicht Nachlässigkeit der Besatzung, sondern Profitgier bei den Reedern und Schiffsmaklern.
Für sie war der Krieg ein glänzendes Geschäft. Die hohe Versicherungsprämie wurde auf die Frachtkosten aufgeschlagen. Ging ein Schiff verloren, zahlte die Versicherung. Das Risiko der Reeder war gering, das der Besatzung um so höher.
Sturm kam auf. Schwere Brecher liefen über die
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