Irrfahrt
Knöchel.
In einer langen Reihe standen die U-Boot-Fahrer. Auch Koppelmann wurde vom Kaleu hinuntergeschickt. «Lassen Sie doch Ihre dämliche Kladde! Papier nutzt uns nichts!»
Unheimlich war das Rauschen der Wasserstrahlen, die unter dem gewaltigen Außendruck unaufhörlich achtern eindrangen. Vorn hatte man die kleineren Lecks notdürftig abgedichtet. Mit größter Eile wurden alle verfügbaren Gefäße achtern gefüllt, von Mann zu Mann weitergegeben und vorn entleert. Schnell wanderten sie in der Kette zurück. Die angestrengte Arbeit so vieler Menschen war vielleicht zwecklos, aber wenigstens hatte niemand Zeit, über die Lage nachzudenken.
Allmählich begann sich das Boot aufzurichten. Zuerst fast unmerklich, dann immer stärker. Erleichtert stellten die Männer fest, daß ihre Mühe nicht ganz umsonst war. Manche rissen sich die Hände an den provisorischen Pützen auf, doch was machte das schon. Ein paar Tropfen Blut spielten jetzt keine Rolle, es ging um das Leben der ganzen Besatzung.
«Wenn wir kleine Fahrt laufen, können wir das Boot noch mit einem Tiefenruder austrimmen», sagte der Ingenieur. Thieme fragte, wieviel Wasser schätzungsweise eingedrungen sei. Der Chief nannte eine Zahl. Demnach würde die Preßluf t in den Tanks knapp reichen, um das Boot zum Auftauchen zu bewegen.
Allerdings befanden sich die Batterien in einem traurigen Zustand. Einige Zellen waren beschädigt. Kleine Blasen stiegen in der Bilge hoch; sie bewiesen, daß frei gewordene Säure den Bootskörper anzunagen begann und, was noch schlimmer war, Gas bildete, das die Atemluf t vergiften und die Lungen zerfressen würde.
An den Lenzpumpen wurde mit Hingabe gearbeitet. «Die Pumpen sind wahrscheinlich in einer halben Stunde wieder einsatzbereit», meldete der Maat. Diese Meldung war die erste gute Nachricht seit langer Zeit.
Mehrere Treibstofftanks waren leck. Proben zeigten, daß ein Gemisch von Dieselöl und Seewasser in den Behältern lagerte. Auf der Meeresoberfläche mußte der Standort ihres Bootes durch einen riesigen Ölfleck gekennzeichnet sein. Aber über ihnen war alles ruhig. Keine Schraubengeräusche, kein Zirpen. Vielleicht hielten die Verfolger das Boot schon für erledigt und gesunken.
An diese schwache Hoffnung klammerte sich Thieme.
Der vordere Torpedoraum war nun bis zum unteren Rand des Schotts mit Wasser gefüllt. Beinahe ausgetrimmt schwebte das Boot im Ozean. Der Tiefenmesser zeigte siebzig Meter.
Koppelmann sah, wie sich der Kommandant flüsternd mit seinem Ingenieur beriet. «Dynamisches Auftauchen ist mit unserem geringen Stromvorrat nicht möglich», sagte der Chief. Der Kommandant nickte kurz. «Also Schleichfahrt und dann langsam anblasen.»
Mühsam quälte sich das angeschlagene Fahrzeug durchs Wasser. Nur wenige Minuten, da hörten sie über sich die Schrauben der Korvette. Es gab kein Entrinnen. Die Korvette setzte alle Waffen ein, um dem getauchten Boot den Todesstoß zu geben. Sämtliche Werfer spuckten, und ein voller Satz Wasserbomben ging über Bord.
In der Zentrale versuchte der Chief schnell umzustöpseln, er wollte das Höchste an Fahrt herausholen. Ängstlich lauschten die Männer auf das leise Surren der E-Maschinen und auf das Poltern der Schrauben. «Beide Maschinen dreimal voll voraus», hatten die Maschinentelegraphen geklingelt. Unter normalen Bedingungen wäre die erreichte Fahrtstufe des Bootes nur knapp als halbe Fahrt registriert worden. Mehr gaben die erschöpften Batterien nicht her.
Und wieder, zum wievielten Male eigentlich, erzitterte das U-Boot unter der Wucht explodierender Bomben bis in alle Fugen und Nieten. Von Titanenfaust gepackt, wurde es wild im Wasser geschüttelt. Dann sackte es mit Schlagseite nach Backbord ab.
Erst bei hundertfünfundzwanzig Meter kam der Tiefenmesser zum Stillstand. Mit bissigem Zischen strömte Wasser aus zahllosen kleineren und größeren Lecks in den Druckkörper. Helmut Koppelmann mußte an Giftschlangen denken, die sich auf ihre wehrlosen Opfer stürzten.
Einige Mitglieder der Besatzung waren schwer verletzt. Dem Torpedomechaniker Schult hatte ein starker Wasserstrahl die linke Hand abgesägt, haarscharf, wie mit einem Rasiermesser. Notdürftig wurde der Arm abgebunden, um die sprudelnde Blutung zum Stillstand zu bringen. Nur ein Arzt konnte sein Leben retten, und nur innerhalb der nächsten zwei Stunden. Soviel wußte Helmut von einem Lehrgang; aber er konnte sich nicht mehr erinnern, ob das in Gotenhafen gewesen war
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