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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
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Kenntnis. Angeblich war der Wunsch zu dieser Neuerung von Berufssoldaten ausgegangen. Natürlich! Den Bunkerstrategen und Stabsheinis ging jetzt die Muffe!
    Widerwillig streckten manche Herren ihre Hand aus, die sie jahrzehntelang an die Kopfbedeckung gelegt hatten. Geschickte Leute fanden schnell eine Kompromißlösung: Sie hoben die Hand mit leicht angewinkeltem Ellbogen in Kopfhöhe. Dabei zeigte die Handfläche nach vorn, ein wenig nach innen. Die Finger berührten zwar nicht ganz den Mützenrand, blieben aber auch nicht allzuweit von ihm entfernt. Wer nicht kleinlich war, ließ diese Art noch als halbwegs vorschriftsmäßig gelten.
    Andere gingen jetzt immer mit Handschuhen, die sie in der rechten Hand hielten. Daher konnten sie die Finger nicht ausstrecken, was dem Gruß einen höchst zivilen Charakter verlieh.
    In solchen und anderen Versionen erschöpfte sich der Protest gegen die neue Anweisung. Mehr wagte keiner.
    Von Heyde nahm die verschiedenen Abwandlungen mit Unbehagen zur Kenntnis. Aber er sagte nichts. Als NSFO der Flottille oblagen ihm wichtigere Aufgaben, bei denen er eine fieberhafte Tätigkeit entfaltete. Überall hatte er seine Augen und Ohren. Eine unvorsichtige Äußerung genügte, ein leiser Zweifel am Endsieg. Es war die große Zeit für Schnüffler Spitzel und Denunzianten.
    Einige Männer verschwanden - von Boot VII jener Obergefreite, der sämtliche adligen Offiziere erschießen wollte.
    Gerber war nun doppelt auf der Hut. Fast bedauerte er, daß der Putsch gescheitert war. Wenn die Generäle den SD und die SS entmachten wollten, hätten sie bestimmt auch eine Ratte wie Heyde erwischt. Dieser Oberst von Stauffenberg hatte großen Mut bewiesen, als er sich mit der Bombe ins Führerhauptquartier wagte. Vielleicht würde der Krieg ohne Hitler anders verlaufen - oder auch nicht. Das eigentliche Ziel der Verschwörung blieb nach wie vor in Dunkel gehüllt.
     
    Am 25. Juli trat die 1. amerikanische Armee aus dem Landungsraum zum Angrif f nach Süden an. Granville fiel. Die Panzerarmee des Generals Patton rollte weiter vor und durchbrach bei Avranches die deutsche Frontstellung. Alle Einheiten, die noch irgendwie entkommen konnten, zogen sich in die bretonischen Hafenstädte zurück: nach Saint-Malo, St-Brieux, Brest, Lorient.
    Der 1. August war ein glühendheißer Tag. Ein Gefreiter von Boot VII wurde auf einen Zerstörer in Holland abkommandiert. Leutnant von Heyde beauftragte Gerber, sich darum zu kümmern. Punkt zwölf Uhr marschierte der Gefreite mit gepacktem Seesack in Richtung Bahnhof.
    Eine Stunde später kam er atemlos wieder an Bord. «Es fährt kein Zug mehr! Auf dem Bahnhof rennen sie alle durcheinander, eine riesige Whooling. Malo soll von den Amerikanern abgeschnitten sein ... »
    Gerber verholte sich unauffällig zum Flottillenstab. Wortlos drückte ihm der Funkmaat einen Stapel Meldungen in die Hand. Was Gerber las, übertraf sogar noch das Chaos am Tage der Invasion:
    Alle seetüchtigen Fahrzeuge verlegen sofort auf Reede.
    Gegenbefehl: Alle seetüchtigen Fahrzeuge übernehmen sofort Treibstof f und Munition bis zur Grenze des Möglichen.
    Die gesamte an Land gelagerte Munition, auch der Kriegsflottillen, untersteht mit sofortiger Wirkung dem Festungskommandanten und darf ohne seine ausdrückliche Genehmigung nicht an Bord genommen werden.
    Gegenbefehl: Alle seetüchtigen Fahrzeuge laden sofort alle Restbestände an Munition. Ausnahmsweise dürfen Granaten und Munitionskisten als Decksladung aufgestapelt werden.
    Wichtige Mitarbeiter der Stäbe sind an Bord zu nehmen und in die Schiffsrolle der Besatzung einzuordnen.
    Gegenbefehl: Alle Mitarbeiter der Stäbe, deren Arbeitsplatz sich an Land befindet, reihen sich umgehend in die Verteidigung der Festung Saint-Malo ein und melden sich am Festungstor zur Einweisung ...
    «Es ist zum Verrücktwerden», sagte Gerber, als wieder neue, einander widersprechende Meldungen eintrafen. Heyde befand sich natürlich an Land, und Zechmeister sagte zu allem nur «schönschön», oder zur Abwechselung: «Erledigen Sie das, Gerber!»
    An der Pier lungerten Stabshengste herum. «Könnt ihr mich mitnehmen?» Stolz zeigte ein Verwaltungsmaat drei große Kartons mit Schoka-Kola, schätzungsweise sechshundert Tafeln. Er wollte sie als «Einstand», mit an Bord bringen.
    Der nächste hatte hundert zwanzig Garnituren Unterwäsche, ein anderer fünfzig Paar Schnürschuhe. «Wenn Sie zwanzig Faß Rum hätten, wäre unser Kommandant sofort

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