Irrfahrt
Funkbude. Wer weiß, welchen Sender die Heinis dort gehört haben, dachte Gerber. Militärputsch? Einfach unvorstellbar... Er beschloß, das Ganze erst einmal für eine Latrinenparole zu halten. Aber die Gerüchte verstummten nicht.
Gerber schaltete das Radio ein. Marschmusik - wie immer, wenn eine besondere Durchsage zu erwarten war. Dann die knappe Meldung: «Attentat auf den Führer in der Wolfsschanze... Bombenexplosion ... Mehrere Tote und Verletzte... Der Führer lebt ... » Also doch keine Latrinenparole!
Erregt scharten sich die Besatzungsmitglieder um den Lautsprecher. Trotz der vielen Meldungen konnte sich niemand ein klares Bild machen. Was war eigentlich in Berlin geschehen? Ein Major Remer vom Wachbataillon «Großdeutschland» wurde für seine entschlossene Haltung belobigt.
Endlich sprach HitIer ein paar Sätze im Rundfunk. Seine Stimme klang matt und kraftlos. Offenbar saß ihm der Schreck noch in den Gliedern. Zittrig wie ein alter Mann pries er die «Vorsehung», die ihn auch diesmal auf wunderbare Weise errettet habe.
In den folgenden Tagen drehten sich die Gespräche fast nur um das Attentat. Namen wurden bekanntgegeben; hochdekorierte Generäle und Stabsoffiziere, meist adliger Herkunft. «Ein ganz kleiner Klüngel verbrecherischer Elemente, die jetzt unbarmherzig ausgerottet werden», schrieb der «Völkische Beobachter».
Aber der Klüngel schien doch nicht so klein zu sein. In der Nacht des 20. Juli waren auf Befehl des Generals von Stülpnagel in Paris zwölfhundert Beamte der SS und des SD von Sturmabteilungen des Heeres verhaftet worden. Zwölfhundert auf einen Schlag, ohne daß ein Schuß fiel! Demnach gab es also eine Verbindung zwischen Berlin und Paris. Allerdings mußten die Eingesperrten nach einigen Stunden freigelassen werden. Es handelte sich lediglich um eine «Übung», erklärte der General. Wer sollte das glauben?
Stülpnagel wurde nach Berlin beordert. Unterwegs versuchte er sich das Leben zu nehmen. Er schoß sich blind. Sein Vorgesetzter, Generalfeldmarschall von Kluge, nahm Gift. Es war der Beginn einer Kette von Selbstmorden und Todesurteilen, von Sippenhaft, Jagd auf Teilnehmer und Mitwisser der Verschwörung. Ans Licht der Öffentlichkeit kam nur wenig. Die HitIerregierung versuchte, durch zweckbestimmte Meldungen ihre ungebrochene Macht zu demonstrieren; in Wirklichkeit war die militärische Lage bereits aussichtslos.
Unter der Besatzung des Bootes VII lösten die offiziellen Nachrichten größtenteils Empörung aus, aber auch Unsicherheit und Angstgefühle. Selbst Männer, die vorher nie eine politische Meinung bekundet hatten, gaben sich nun als hundertprozentige Anhänger Hitlers aus. «Unseren Führer wollten diese Feiglinge umbringen», sagte ein Obergefreiter entrüstet. «Die adligen Offiziere müßten erschossen werden. Alle!» Nicht einmal den superstrammen NSFO wollte er davon ausnehmen.
Äußerungen über die Unzuverlässigkeit der Heeresführung wurden bei der Marine wieder laut. Verrat, hatte mancher gesagt, als die Landung in der Normandie erfolgte. Jetzt erhielten diese Gerüchte neuen Auftrieb.
Allerdings mußte man sich hüten, sie zu verbreiten. Eine allgemeine Beschimpfung des Heeres wurde untersagt. «Die überwiegende Mehrheit des Offizierskorps hat dem Führer die Treue gehalten», hieß es in einem Rundschreiben. «Niemand sollte sich dazu hinreißen lassen, die Generalität, den Adel oder Wehrmachtsteile in corpore anzugreifen oder zu beleidigen. Bei den Teilnehmern des Putsches handelt es sich um einen kleinen Klüngel gewissenloser Verräter. Die Haltung der Gesamtwehrmacht ist einwandfrei ... »
Schon bald nach Bekanntgabe des gescheiterten Putschversuchs beeilten sich hohe und höchste Kommandeure sämtlicher Waffengattungen, dem von der Vorsehung erretteten Führer ihre Ergebenheit zu bekunden. Einer der ersten war Erich Raeder. Ihm folgte ein Rattenschwanz von Admirälen, Küstenbefehlshabern und Flottillenchefs, alle in dem erhebenden Gefühl, daß die Kriegsmarine eine reine Weste besaß.
Auch Breitenbach wollte nicht zurückstehen. Er beauftragte Leutnant von Heyde mit der Abfassung des Telegramms. Heyde ließ die gesamte Besatzung antreten. Mit gewaltigem Pathos las er seinen geschwollenen Text vor.
Der 20. Juli hatte Folgen.
Vergleichsweise harmlos war die Einführung des «Deutschen Grußes» in der Wehrmacht. Die altgedienten Seeoffiziere nahmen den Befehl, der jeglicher Traditionwidersprach, kopfschüttelnd zur
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