Irrfahrt
schmieren. Mehrmals brüllte der Heizer wie ein Tier, dann wurde er ohnmächtig. Gerbers Helfer rissen ein frisches Bettlaken in Streifen und legten einen lockeren Verband an. Vorsichtig schafften sie den Ohnmächtigen in eine Koje.
Nacheinander kamen die Schwerverwundeten ins ForecastIe. Dadurch trat an Deck allmählich Ruhe ein. Die Leichtverwundeten hockten stumm auf den Backskisten. Mechanisch tranken sie heißen Kaffee, um sich zu erwärmen. Mit ihren ölverschmierten und blutbefleckten Uniformen boten sie einen jammervollen Anblick.
Zechmeister erschien im Forecastle, als gerade ein Obermaat mit einer Kopfverletzung gebracht wurde. Krampfhaf t hielt der Maat einen Ballen schmutzige Putzwolle auf die Wunde gepreßt. Aus der durchtränkten Wolle lief ihm das Blut den Unterarm entlang. Gerber entfernte das Knäuel. Vom Schädeldach fehlte ein Stück, etwa so groß wie ein Handteller. Deutlich war eine graue Masse zu sehen, in der bizarr geformte Splitter steckten. Gerber wagte nicht die Splitter anzurühren. Das war Sache eines Chirurgen. Er konnte nur einen Notverband anlegen.
Merkwürdigerweise war der Maat vollkommen klar. «Werde ich wieder gesund?» fragte er besorgt. «Ich bin zum Steuermannslehrgang eingereicht, soll in drei Wochen abkommandiert werden. Früher, wenn ich mir als Junge das Knie aufschlug, hat meine Mutter immer gesagt: Bei dir heilt alles sehr schnell ... »
Zechmeister legte ihm seine Hand auf die Schulter. «Wird schon, wird schon», brummte er. «Unser Oberfähnrich tut, was er kann.»
Gerber freute sich über das Lob. Er arbeitete bis zum Umfallen. Der Morgen dämmerte schon, als er den abgedunkelten Raum verlassen und an Deck gehen konnte. Ein freundlicher Matrose brachte ihm Tee. Sogar einen Schluck Rum hatte die Kombüse spendiert.
Leutnant von Heyde, der soviel von Volksgemeinschaf und Kameradschaf t predigte, hatte nicht ein einziges Mal nach den Verwundeten gesehen. Gerber brauchte nur an das blasierte Gesicht zu denken, und der Verlust seines Freundes Adam wurde ihm doppelt schmerzlich bewußt.
Kurz nach fünf Uhr lief die Flottille in St. Helier auf der Insel Jersey ein. Das Lazarettschif f "Hüxter» lag an der Pier. Zechmeister ging sofort längsseits und übergab die Verwundeten.
Todmüde und völlig erschöpf t fiel Gerber in seine Koje. Ein paarmal schreckte er hoch, weil ihm die Schreie der zerschundenen Männer noch in den Ohren gellten.
Zwei Tage darauf verholte die Flottille ohne Zwischenfall wieder auf die Reede von Saint-Malo. Die Amerikaner hatten den Kriegshafen Cherbourg erobert. Es war unmöglich, nach Guernsey durchzukommen. Die Verbindung war endgültig abgerissen.
16. Kapitel
Die Kapitulation von Saint-Malo
Mitte Juli hatten die alliierten Truppen den größten Teil der Halbinsel Cotentin besetzt und die Linie Lessay - StLo - Caen erreicht. Im Landungsraum standen bereits dreißig Infanterie- und dreizehn Panzerdivisionen. Ihre Aktionen wurden von der französischen Widerstandsbewegung unterstützt, deren Kampf inzwischen in den allgemeinen bewaffneten Aufstand übergegangen war.
Obwohl die deutschen Heeresverbände zahlenmäßig unterlegen waren, kamen die Alliierten nur langsam vorwärts. Um so heftiger und konzentrierter nutzten sie ihre Überlegenheit im Luftraum. Fast pausenlos starteten ihre Maschinen von den Flugplätzen der Normandie.
Der Einfachheit halber ließ die Signalstation in SaintMalo ihre Wimpel von morgens bis abends flattern. Der Flakalarm wurde zu einem Dauerzustand. Mitunter erschienen die Flugzeuge zwanzigmal am Tage. Nur durch Feuer aus allen Rohren waren sie zu vertreiben. «Wie ein Wespenschwarm um einen Streuselkuchen», meinte Leutnant von Heyde.
Der Eisenbahnverkehr nach der Küste war vollkommen lahmgelegt. Männer der Resistance sprengten Züge, zerstörten Brücken, montierten Gleise ab. In der Stadt hingen blutrote Plakate mit den Namen von französischen Zivilisten, die als «Vergeltung» erschossen worden waren.
Tagsüber waren auch die Verbindungswege zwischen den Städten unpassierbar. Jagdbomber patrouillierten entlang den Chausseen wie die Strichmädchen. Lediglich in der Nacht gelang es einigen Lastwagen, durchzuschlüpfen. Sie brachten nur den allerdringendsten Bedarf an Flakmunition.
Am Abend des 20. Juli wurde es auf den Booten unruhig. Wilde Gerüchte schwirrten umher: Anschlag auf das Führerhauptquartier, Militärputsch in Berlin.
Natürlich kamen diese Unglaublichen Nachrichten aus der
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