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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
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einverstanden», antwortete Gerber ironisch. «Mache ich, bin gleich wieder hier!» versicherte der Kammerbulle und trabte im Schweinsgalopp los.
    Schließlich kam ein Feuerwerker und bot seine Restbestände an Munition an. Sie konnten sofort abgeholt werden. «Endlich ein völlig normaler Mensch!» stöhnte Gerber. «Jawoll, Herr Oberfähnrichh» schrie der wachhabende Bootsmaat so laut, daß alle Umstehenden lachten. Wenig später karrten sie Munition, bis der Kahn randvoll war. Die letzten Kisten wurden an Bord gehievt, als das Fahrzeug schon in der Schleuse lag. Sämtliche Schiffe waren im Begriff, den Hafen zu verlassen.
    Als die Sonne sank, lag die Reede voller Kriegsschiffe. Im Fernglas erkannte Gerber, wie die «Badegäste» auf anderen Fahrzeugen immer wieder ängstlich in Richtung Küste schauten, als müßten dort jeden Augenblick die Panzerspitzen der Amerikaner auftauchen.
    Aber die Walze rollte vorerst an Saint-Malo vorbei.
     
    Tagelang wurden die Schiffe unter Dampf gehalten, ohne daß Befehl zum Auslaufen kam. Wohin sollten sie auch fahren? Seit dem Fall von Granville und Avranches war der Seeweg nach den Kanalinseln in höchstem Maße gefährdet. Unter den deutschen Einheiten in Saint-Malo herrschte eine panikartige Stimmung. Es war nur eine Frage der Zeit, dann würde die Falle zuschnappen.
    Gerber hatte am Nachmittag auf der Brücke Dienst als ein schwerer Luftangrif f erfolgte. Dreißig Jagdbomber erschienen fast gleichzeitig über der großen Reede. Die Schiffskanonen bellten wütend, knallten dazwischen und vollführten einen Höllenspektakel.
    Über dem Außenfort kurvte eine Lightning. Gerber ließ eine Brückenkanone schwenken. Jetzt durfte kein Angreifer ohne Beschuß bleiben. Der Vierling hielt unterdessen auf einen Pulk, der über dem Hafen hing. Auch die Dreikommasieben auf der Back hatte schon ein Ziel unter Feuer.
    Gerber wußte nicht, wohin er seine Feuer zuerst dirigieren sollte. Von allen Seiten kamen die Todesvögel. Nachbarfahrzeuge hatten bereits Treffer erhalten, Geschützbedienungen waren ausgefallen, die Minensucher und Vorpostenboote schossen unregelmäßig und stockend.
    Unbemerkt stieß eine Lightning aus der Sonne auf Boot VII herunter und feuerte aus ihren schweren Maschinengewehren. Deck und Brücke erzitterten, Wolken von Splittern surrten überall. Gerber sah noch, wie am vorderen Geschütz einige Männer getroffen auf die Back fielen.
    In diesem Augenblick spürte er ein scharfes Prickeln am linken Bein, kurz darauf einen stechenden Schmerz. Seine Lederhose hing in Fetzen, ein blutiges Rinnsal breitete sich auf den Grätings der Brücke aus. Gerber hielt sich irgenowo fest, er wollte stehen bleiben. Aber die Blutlache wurde größer und größer. Vor seinen Augen tanzten schwarze Punkte, dann verlor er das Bewußtsein.
     
    Als er wieder zu sich kam, lag er in einem hellgetünchten Saal. Er fühlte sich sehr schwach. Angestrengt überlegte er, wo er sein könnte. An Bord war er nicht, dort gab es nur kleine enge Räume mit niedriger Decke.
    Langsam wendete er den Blick nach links. Im Nachbarbett war ein Mensch zu erkennen. Warum hat er einen so riesigen weißen Kopf? Gerber nahm alle Kraf t zusammen, schloß noch einmal kurz die Augen und konzentrierte sich. Dann erst sah er, daß der Nachbar einen dicken Kopfverband trug, der nur Mund und Nase frei ließ.
    In dem Bett zur Rechten saß ein junger Blondschopf halb aufgerichtet. Er schien zu schlafen. Arm und Schulter waren in einen kompliziert abgewinkelten Gipsverband eingepackt. Neben dem Bett hing ein dunkelblauer Kollani. Mit Mühe erkannte Gerber einen goldenen Winkel und ein Zahnrad am Ärmel.
    Alle diese Wahrnehmungen erforderten große Anstrengung. Schon wieder begannen die schwarzen Punkte zu tanzen.
    Er wußte nicht, wie lange er so gelegen hatte. Ein hübsches junges Mädchen beugte sich über ihn. Sie trug eine weiße Schürze. Unter dem gestärkten Häubchen quollen schwarze Kräuselhaare hervor. «Ich bin Schwester Jeannine», sagte sie mit französischem Akzent. «Wollen Sie Mittag essen?»
    Gerber nickte. Schwester Jeannine setzte sich auf den Bettrand und reichte ihm eine Schüssel mit Nudeln und Rindfleisch. Allmählich spürte er, wie seine Lebensgeister zurückkehrten. Ob es das Essen ist oder das nette Mädchen? dachte er. «Sie 'aben viel Blut verloren und mussen gantz ru'ig liegen», sagte Jeannine, während sie eine Schnabeltasse mit kaltem Tee auf sein Tischehen stellte. Gierig trank er die

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