Irrfahrt
dadurch außer Sicht.
Boot VI, das im Verband vor Zechmeister lief, erhielt mehrere Treffer und machte nur geringe Fahrt. Auf seinem Achterdeck loderte ein helles Feuer. Die Löscheinrichtungen reichten offenbar nicht aus, den Brand einzudämmen. Gerber sah im Brückenglas, daß alle Schläuche und Löschköpfe in Betrieb genommen waren. Trotzdem breitete sich der Brand weiter aus. Das getroffene Boot lieferte der Artillerie des Gegners ein bequemes Ziel.
In dieser Situation bewährte sich die Besonnenheit Zechmeisters. Mit unbewegtem Gesicht gab er kurze und präzise Anweisungen. In Höchstfahrt dirigierte er sein Boot an das gefährdete Fahrzeug heran, rauschte haarscharf vorbei, und seine mächtige Bugwelle warf einen gewaltigen Schwall Wasser über das brennende Heck. Augenblicklich war das Feuer erstickt.
Trotzdem blieb die Lage des anderen Bootes aussichtslos. Immer mehr Treffer schlugen ein, große Teile der Aufbauten waren ein Haufen von Trümmern, die Geschützrohre zeigten in alle Himmelsrichtungen, aus dem Kesselraum strömte Dampf.
Zechmeister ließ mit «Steuerbord zwanzig» einen Voll kreis laufen und kam auf diese Weise schnell wieder in die Nähe des Wracks. Leinen wurden klargemacht, und im Hagel der Granaten ging Zechmeister bei dem getroffenen Fahrzeug längsseits. In kurzer Zeit sprangen die Männer über, konnten sogar ihre Verwundeten bergen. Nach einer Minute ließ der Kommandant wieder Fahrt aufnehmen und entkam aus der Gefahrenzone.
Das Wrack lag bewegungs unfähig im Wasser und wurde immer schwerer mit Artillerietreffern eingedeckt. Langsam sank es über den Achtersteven.
Auch Zechmeisters Minensuchboot hatte zwei Treffer erhalten. Der eine war verhältnismäßig harmlos; er richtete zwar im Heizerdeck einige Verwüstungen an, durchschlug aber nicht die Bordwand. Schlimmer war der zweite Einschlag: Er landete im Schapp des Sanitätsgefreiten, zerstörte den Raum vollkommen und hatte zwei Tote und zwei Schwerverwundete zur Folge.
Mit Höchstfahrt lief nun die Flottille dicht unter Land in den Schutz der Küstenartillerie. Die britischen Zerstörer wagten es nicht, bis in den Feuerbereich der Insel Jersey einzudringen, und brachen das Gefecht ab. Unvermittelt senkte sich wieder Dunkelheit über die schwer mitgenommenen Fahrzeuge.
Auf Deck stöhnten und schrien die Verwundeten. Die meisten stammten von dem untergegangenen Boot. Zechmeister schickte seinen II WO an Deck. «Ruhe schaffen!» lautete sein Befehl.
Gerber besichtigte zunächst einmal die Sanitätsbude. In dem Trümmerhaufen war keine Medizinflasche heil geblieben. Ein Arzt befand sich nicht an Bord, die bei den Sanitäter waren bei dem Volltreffer ums Leben gekommen, und so fühlte sich Gerber, der als Rekrut nur an einem kurzen Sanitätslehrgang teilgenommen hatte, plötzlich für das Leben von zwei Dutzend Menschen verantwortlich.
Verbandpäckchen wurden eingesammelt. Im Logis konnte provisorisch Licht angezündet werden, das ausreichte, kleinere Verletzungen zu verbinden. Als zwölf Männer versorgt waren, hatte Gerber noch drei Verbandpäckchen.
Das Stöhnen und Schreien der Schwerverwundeten schnitt in die Ohren. Der Alte schickte noch einen Läufer von der Brücke. Er hatte zwar keine bestimmte Weisung erhalten, aber Gerber wußte, daß «Ruhe schaffen» befohlen war.
Drei Männer trugen ein wimmerndes Bündel auf die Back. Vorsichtig versuchten sie, die verkohlten Kleidungsstücke zu entfernen. Der Mann roch eigenartig - wie ein Koch, der stundenlang in der Kombüse gestanden hatte und dem nun der Geruch von gebratenem Fleisch anhaftete. Schließlich mußte Gerber mit einer kleinen Pinzette die letzten Fasern der Oberbekleidung herunterlesen.
Der Verletzte hatte im Kesselraum gearbeitet, als ihn ein Treffer zu Boden warf. Sein linker Oberarm kam mit der glühendheißen Ofentür in Berührung. Vom Schulterblatt bis zum Ellenbogen war die Haut abgefetzt, darunter schaute das dunkelbraune Fleisch hervor. Es war unbegreiflich, daß dieser Mann noch lebte.
Ein Maat, der den Kesselraum nach Brauchbarem durchstöberte, hatte eine Tube Brandsalbe gefunden. Durch einen Riß war beinahe die Hälfte des Inhalts verlorengegangen. Gerber nahm die Tube. Wahrscheinlich war es nutzlos, aber irgend etwas mußte mit dem armen Heizer geschehen; man konnte ihn doch nicht einfach liegenlassen.
Gerber biß die Zähne zusammen und überwand seine Übelkeit. Mit einem Leinenlappen begann er die Salbe behutsam auf die große Wunde zu
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