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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
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Zeitgenossen etwas von einem schwarzen «Mittelwächter». Gerber bekam von dem ungewohnten Getränk ordentlich Herzklopfen. Der Armeearzt hatte ihm ausdrücklich Bohnenkaffee verordnet, weil er von dem Blutverlust immer noch ziemlich schlapp war.
    Mittags rollten gegrillte Hähnchen an. Jeder wurde gefragt, ob er ein halbes oder ein ganzes essen wollte. Dazu Röstkartoffeln und verschiedene Gemüsearten, zweierlei Kompott und wieder Kaffee. Nachmittags süßes Gebäck und schwarzen Tee, abends Rollschinken, Ölsardinen und andere Lekkerbissen, dazu geröstetes Weißbrot.
    Die meisten Lebensmittel wurden in Konservenbüchsen aufbewahrt, die in unerschöpflichen Mengen und in einem breiten Sortiment zur Verfügung standen. Sogar Klosettpapier in Büchsen sollte es geben, wurde glaubhaf t versichert. Die Amerikaner waren eine Nation von Büchsenöffnern.
    Das ZeItlazarett bestand erst seit einer Woche; es war nach USA-Begriffen noch längst nicht top-fit.
    Wenn die Amerikaner schon Zeit hatten, eine so luxuriöse Lazarettausstattung über den großen Teich zu bringen, wie mußte es dann erst mit Ausrüstung und Bewaffnung der Fronttruppen aussehen? Die Infanteristen in St-Servan hatten Wunderdinge von Panzerkolonnen, endlosen Fahrzeugparks und unbegrenzten Munitionsvorräten der schweren Artillerie erzählt. Stundenlang war darüber debattiert worden. Gerber hatte das nicht glauben wollen. Hier merkte er zum erstenmal, wie weit seine Vorstellungen von der Wirklichkeit entfernt waren.
    Die Orderlies kamen, um das Zelt aufzuklaren. Alle schweren und schmutzigen Arbeiten mußten die Farbigen verrichten. So war es in den Staaten, und so war es auch hier. Jeff, ein freundlicher Junge aus Alabama, zu dessen Bereich Gerber gehörte, sagte einmal in einer Unterhaltung: «Siehst du, Kraut, du bist hier ein Mensch zweiter Klasse, jedenfalls für die nächsten Monate und Jahre. Ich bin ein Mensch fünfter Klasse und bleibe das bis an mein Lebensende.»
    Das Lazarett besaß einen großen Vorrat an Blutkonserven für Transfusionen, sauber geordnet nach Blutgruppen. Jede Gruppe war doppelt vertreten: einmal Blut von weißen Spendern, einmal von schwarzen. Die Unterschiede waren an der Farbe des Aufdrucks sofort erkennbar. Darauf legte das Headquarter den allergrößten Wert. Man hätte einen verwundeten Schwarzen lieber verbluten lassen, als ihm das Blut eines Weißen zu übertragen.
    Gerber unterhielt sich of t mit Jeff. Dadurch zog er sich den Zorn seiner Nachbarn zu. Vertraulicher Umgang mit einem Farbigen wurde als ungehörig betrachtet, sie seien minderwertige Menschen. Als Weißer hatte man in streng dienstlichem Ton mit ihnen zu verkehren. Über Schwarze waren alle in dem großen Zelt einer Meinung, die sie in zwei Worte zusammenfaßten: They stink!
    Gerber hatte nicht bemerkt, daß Jef f stank. Er roch nicht anders als seine weißen Arbeitskollegen. Mit drastischen Mitteln brachte man dem Kraut bei, daß er besser daran täte, sich der vorherrschenden Auffassung anzuschließen. Einige fuchtelten bei der Erörterung dieses Themas demonstrativ mit einer großkalibrigen Schußwaffe umher. Kaum einer richtete noch das Wort an ihn, bei der Essenausgabe wurde er mehrfach benachteiligt, obwohl genug vorhanden war.
    Sein Nachbar war ein Taxifahrer aus Atlanta. Er sprach einen grauenhaften, wie Geheul klingenden Slang. Als Jeff wieder einmal in der Nähe zu tun hatte, fragte er Gerber laut: «What do you think of our 'negroes?» Gerber zögerte, dann gab er vernehmbar die beiden Standardworte von sich. Sofort hörte der Boykott auf. Zum Mittagessen erhielt er wieder ein ganzes Brathähnchen. Jef lächelte nur leicht. Er hatte das Manöver durchschaut.
    Farbige Amerikaner waren bei weitem nicht das einzige, worüber alle Patienten im Lazarett einer Meinung waren. Über bestimmte Dinge hatte ein guter Amerikaner ganz bestimmte Ansichten zu haben ob es sich nun um Schwarze handelte oder um die Japaner, um Hitler oder Joe Louis, um italienische Küche oder französische Hotels, amerikanische Nähmaschinen oder englische Rennpferde. Immer wieder legte Gerber sich die Frage vor: Wie produziert man diese genormten Ansichten? Auf welchem Fließband werden sie hergestellt? Jedenfalls waren die Toleranzen der Apparate, die das Fließband in Gang setzten, sehr gering. Ebenso gering wie bei der Herstellung von Sherman-Panzern, Chevrolet-Wagen und Frankfurter Würstchen. Gerber gab sich Mühe, gerecht zu sein. Auch in Deutschland waren Ansichten

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