Irrfahrt
kapituliert. Als die Bomben fielen, saß die Besatzung sicher in den gut eingerichteten Felsenbunkern und machte sich über die Weinfässer her.
Kommentatoren bejubelten im großdeutschen Rundfunk den heldenhaften Kampf der Verteidiger von SaintMalo. Keiner dieser Helden war nüchtern, als er in die Gefangenschaf t marschierte. Die Festungskrieger hatten bis zum letzten Tropfen Wein gekämpft.
Die Besatzung einer Insel in der Hafeneinfahrt leistete dagegen noch sechzehn Tage lang Widerstand, bis dem Kommandanten telegrafisch das Ritterkreuz verliehen wurde. Dann erst kapitulierte er. Die Hälfte seiner Männer war durch Bomben und Granaten ums Leben gekommen.
17. Kapitel
Prisoner of War
«Schmeißen Sie alles hweg, hwas Sie haben! Hwenn Sie in die States kommen, kriegen Sie alles new and much better!» Ein Amerikaner in Stahlpütz, Khakiuniform und hohen Schnürschuhen mit Gummisohlen sagte es, ohne seine Hände aus den Hosentaschen zu nehmen. Gelassen musterte er das Häuflein Männer, das ein Lastwagen soeben vor dem Lagereingang ausgespuckt hatte.
Die neuen Gefangenen ordneten sich halbwegs in einer Linie und packten zögernd ihre wenigen Habseligkeiten aus. «Schmeiß hweg, Kameratt, schmeiß alles hweg!» Der Reihe nach wurden die Männer abgeklopft. Hosentaschen mußten umgedreht, Stiefel ausgezogen werden. Jeder erhielt aus dem Stapel seiner ehemaligen Besitztümer ein Taschentuch und einen Löffel. Mehr brauchte er von jetzt ab nicht zum Leben.
Gerber lag auf einer Trage und beobachtete den reichlich zivilen Betrieb mit wachsendem Erstaunen. Er hatte sich die Gefangenschaf t wesentlich dramatischer vorgestellt: mit Maschinenpistolen und erhobenen Händen, und natürlich mit einer wilden Knallerei. Doch wie so of t deckte sich die Vorstellung nicht mit der Wirklichkeit. Die Amerikaner liebten weder Geschnauze noch scharfe Kommandos, und so dauerte bei ihnen alles länger als bei einer preußisch gedrillten Einheit. Außerdem hatten sie Zeit, viel Zeit.
Die Behandlung der neuen Gefangenen begann damit, daß ihnen auf sämtliche behaarte KörpersteIlen eine kräftige Dosis weißen Pulvers gestäubt wurde. Das Pulver hieß DDT und war in Europa noch unbekannt.
Schon geringe Mengen davon wirkten tödlich auf alle Insekten. Durch dieses neue Mittel sollten Hygiene und Pflanzenschutz in späteren Jahren einen ungeahnten Aufschwung nehmen.
Die Prozedur war zu Ende. «Links um! Ohne Tritt marsch!» Das klägliche Häuflein, nunmehr ohne Gepäck, verschwand im «Lager». Wenigstens wurde die grüne Wiesenfläche so bezeichnet. Ringsum hatte man mit kurzen Pfählen aus Kistenholz ein Viereck abgesteckt und in Kniehöhe einen Bindfaden gezogen. Stacheldraht schienen die Amerikaner nicht zu kennen. An den vier Ecken standen Maschinengewehre, und damit war das gesamte Camp fertig.
Einige US-Soldaten stocherten in den liegengebliebenen Sachen und suchten nach Brauchbarem. Sehr begehrt waren Armbanduhren und alle Gegenstände, die ein Hakenkreuz trugen, besonders Orden.
Die himmlische Ruhe im Camp stand in scharfem Kontrast zu den Kampfhandlungen, die jeder einzelne Insasse miterlebt hatte. Jetzt war der Krieg für sie vorbei. Aus Eroberern waren plötzlich Gefangene geworden. Zu Hunderten hockten sie im Grase, waffenlos und ausgeplündert.
Jäh zerriß die Stille. Bei den US-Soldaten gab es Lärm und kurz darauf eine Schlägerei. Jemand hatte eine Leica entdeckt, die irgendein Zahlmops mit ins Lager geschleppt und befehlsmäßig «hweggeschmissen» hatte. Der Finder war so unklug, seinen Kameraden den wertvollen Fund zu zeigen. Um den Besitz der Kamera entbrannte ein heftiger Nahkampf. Siegreich blieb nicht etwa der höchste Dienstgrad, sondern der Mann mit den härtesten Fäusten.
Die Überreste der großen Filzung türmten sich zu einem Berg: Tornister und Seesäcke, Fußlappen und Schnürschuhe. Butterdosen und Flakbrillen, private Tagebücher und Wehrmachtsdienstvorschriften, Lutherbibeln und Faust-Ausgaben, schmutzige Socken und nagelneue Präservative.
Benzin darüber, Streichholz, erledigt! So einfach war das in einem amerikanischen Kriegsgefangenenlager.
Mit der Organisation nahm es die Lagerleitung nicht sehr genau. Ob und wann Verpflegung ausgegeben wurde, richtete sich nach der Laune des jeweiligen Offiziers vom Dienst. Einige Offiziere waren so bequem, daß ihnen sogar die Filzung der Gefangenen zuviel wurde. Kleinere Trupps ließen sie ohne Kontrolle ins Lager marschieren. Mancher stellte
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