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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
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genormt.
     
    Dank der guten Pflege besserte sich sein Zustand. Bald galt er als transportfähig. Man brachte ihn zum nächsten Lazarett.
    Gefangenenttansporte waren höchst einfach. Am Lagertor erschien eine Kolonne Lastwagen. Mit «Hurry up» und «Come on», manchmal auch mit einem freundlichen «Mack snel» oder einem weniger freundlichen «Bloody bastard» wurden die Gefangenen auf die Lastwagen geschubst. Niemand hielt sich damit auf, die Männer zu zählen. Wenn sie dicht gepackt wie Heringe standen, wurde die Klappe befestigt.
    Die Bewachung der Kolonne bestand aus Farbigen, die sich auf den Kotflügeln der Laster festbinden mußten. Bei dem wahnsinnigen Tempo war die Fahrt lebensgefährlich, also ein Job für Farbige.
    Leichtverwundete kamen in Fahrzeuge mit Sitzbänken. Dennoch war es für Gerber nicht gerade angenehm, durch unzählige Schlaglöcher der nordfranzösischen Straßen kutschiert zu werden. Sein Bein schmerzte wieder stärker.
    Die Fahrt ging durch zerschossene Dörfer und zerbombte Städte. Der Straßenrand war gesäumt von ausgebrannten Panzern, umgestürzten Lastwagen und allerlei Kriegsgerät. Weinende Menschen suchten immer noch in den Trümmerbergen nach ihren Habseligkeiten. Laut Gerbers Reiseführer sollte die Normandie eine der schönsten Provinzen Frankreichs sein. Davon war nichts mehr zu bemerken.
    Wieder näherten sie sich einer Stadt. Man konnte sie noch nicht sehen, aber die Bombentrichter beiderseits der Straße nahmen zu - sicheres Anzeichen für ein strategisch wichtiges Objekt. Schwere Kaliber waren eingeschlagen; mancher Krater hatte einen Durchmesser von zehn Metern. Ob die Bauern hier jemals wieder Landwirtschaf t betreiben konnten? Allein die Planierung des Geländes würde Jahre dauern.
    Dort lag die Stadt, gleich hinter dem Hügel. Das umgeknickte Ortsschild war noch zu entziffern: St-Lo. Um diese kleine Stadt hatten im Juli heftige Kämpfe zwischen britisch-kanadischen und deutschen Truppen stattgefunden. Ein gewaltiger Bombenteppich äscherte St-Lo ein. Verkohlte Balken ragten in den sommerlich blauen Himmel, Trümmerschutt versperrte die Straßen. Kein Haus war unbeschädigt geblieben. Mit Kreide hatten die Bewohner an den Mauerresten eine Nachricht für ihre Angehörigen hinterlassen.
    Die Fahrzeugkolonne rollte langsam durch die Ortschaft. Menschen sammelten sich an. Sie ballten die Fäuste, schrien und fluchten. Eine Welle von Haß schlug den Gefangenen entgegen.
    Gerber senkte beschämt den Kopf. Jetzt zeigte sich, was die Franzosen wirklich dachten. Der Haß auf die deutschen Besatzer, der so lange unterirdisch geschwelt hatte, brach offen hervor. Nach dem Kriege würden sie die Rechnung für all die Verwüstungen präsentieren.
    Offenbar war Gerber nicht der einzige, der sich mit der düsteren Zukunf t beschäftigte. «Wer den Krieg verliert, muß zahlen!" sagte ein Kapo von der Luftwaffe. Em ältlicher Major mit Gipsbein, der ihm gegenübersaß, reckte seinen dürren Hals und sah den jungen Mann scharf an. «Defätismus! Ist ja wohl klar, wer den Krieg verliert! Die anderen, selbstverständlich!»
    Hinter St-Lo fuhr die Kolonne durch ein halbwegs bewohnbares Dorf. Sogar einige Obstbäume waren stehengeblieben. Vor dem kleinen Rathaus war nach mittelalterlichem Vorbild ein Pranger errichtet. Zwei junge Frauen standen dort festgeschnallt. Auf dem Pappschild war zu lesen, was man ihnen zur Last legte: Unterstützung der faschistischen Okkupanten. Die Köpfe der Frauen waren kahlgeschoren, ihre Haare lagen neben dem Pranger.
    «Hitler kaput» stand an einer Hauswand, eilig mit roter Farbe hingepinselt. Überall sah man das große V, Zeichen des bevorstehenden Sieges.
     
    Das neue Camp war aus Zelten verschiedener Herkunf und Größe zusammengesetzt. Allen Ramsch, der irgendwo übriggeblieben war, hatte man für dieses Lager verwertet. Manche ZwölferzeIte bestanden aus einem Dutzend Zeltbahnen unterschiedlicher Abmessungen und Farben. Auf diese Weise erhielt das Camp einen teils malerischen, teils zigeunerhaften Anstrich.
    Natürlich gab sich der deutsche Ordnungssinn damit nicht zufrieden. Bereits am nächsten Tag hatten findige Leute durch intensive Tauschgeschäfte einigermaßen passende Bahnen, zusammengebracht. Da alle Nationen eigene Normen besaßen, wurden die Zelte aus den USA, aus Großbritannien und Deutschland schnell voneinander geschieden. Verglichen mit den Aufnahmelagern in der Bretagne war diese bunte Zeltstadt schon ein erheblicher

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