Irrfahrt
bei Sichtung seines Gepäcks fest, daß er noch Brennzünder, Eierhandgranaten oder eine Sechsfünfunddreißig besaß - gefährliche «Bannware», die er schleunigst in die Latrine versenkte. So mancher saß dann auf dem Donnerbalken, ohne zu ahnen, welchen Gefahren er seine Rückseite aussetzte.
Die Verwundeten lagen immer noch auf ihren Tragen und waren der prallen Augustsonne ausgesetzt. Niemand kümmerte sich um sie. Verwundete waren hier nicht vorgesehen. Der Sanitäter des Lagers hatte Wichtigeres zu tun; er betreute die Verletzten der großen Schlägerei.
Trotz der sommerlichen Wärme waren die Nächte im Lager qualvoll. Es gab weder Betten noch Matratzen, weder Pritschen noch Decken. Wer einen Mantel hatte, brauchte wenigstens nicht schutzlos im nassen Grase zu liegen. Gerber hatte keinen Mantel. Sogar die enge Koje an Bord kam ihm jetzt komfortabel vor. An Schlaf war nicht zu denken. Wie er sich mit dem verletzten Bein auch drehte, immer taten ihm die Knochen weh. War er endlich etwas eingeduselt, schreckte ihn das Kauderwelch der Wachposten wieder auf.
Anfangs verstand er kein Wort. Trotz Moppels intensiven Bemühungen waren seine Sprachkenntnisse recht bescheiden geblieben. Er hätte kaum einen Engländer verstanden, schon gar nicht diese nuscheligen Amerikaner, die den Mund nicht richtig aufmachten und die meisten Wörter bis zur Unkenntlichkeit zwischen den Kiefern zermalmten.
Gerber brauchte eine ganze Weile, bis er sich halbwegs eingehört hatte. Auch dann war es noch mühsam, diese Sprache zu enträtseln. DIe Soldaten gebrauchten ein völlig überflüssiges und offensichtlich auch bedeutungsfreies Wort, das mit f anfing. Es kam im Jargon mindestens ebensoof t vor wie das berühmte Wort Scheiße bei der Wehrmacht. Jedenfalls ergaben die Sätze nur einen Sinn, wenn man dieses Wort bei der Übersetzung wegließ.
Zum Fluchen benutzten die Amerikaner das Gerundium eines Tätigkeitswortes. Es bezog sich ebenfalls auf die Funktion des Unterleibes, allerdings mehr auf die vordere Seite, und besaß eine höchst angenehme Bedeutung. Es gab keinen Satz, in dem dieses Wort nicht vorkam.
Nun lag Gerber also in diesem focking camp einsam und verlassen auf einer Trage, und ein Dutzend Splitter steckte in seinem Bein. Nach langer Wartezeit erschien endlich ein Lageroffizier und nuschelte den Verwundeten etwas zu. Bei ihm war alles «bloody», was bei den unteren Dienstgraden «focking» war. Gerber erhielt den Auftrag, die Darlegungen des Lageroffiziers ins Deutsche zu übersetzen.
«Ihr blutigen Sauerkrautfresser werdet in diesem blutigen Lager nicht bleiben, weil hier keine blutigen Einrichtungen für euch blutige Verwundete sind. Einige blutige Sanitätsfahrzeuge werden kommen und euch in das blutige Divisionslazarett fahren, wo alles viel besser ist als hier. Blutige Hölle!»
Tatsächlich kamen dann Fahrzeuge. Gerber wurde ohne viele Umstände mitsamt seiner Trage in den Wagen gehoben. In einer Höllenfahrt auf schlechten Wegen, die jedem Wildwestfilm Ehre gemacht hätte, fuhr der Wagen seinem Ziel entgegen.
Das Lazarett bestand nur aus Zelten, aber seine Einrichtungen erwiesen sich als bewundernswert modern. Gerber lag auf einem verstellbaren, mit vielerlei technischen Schikanen versehenen Untersuchungstisch. Die Ärzte und Pfleger schüttelten bedenklich die Köpfe und riefen sich Unverständliches zu. Gerber war darauf gefaßt, daß sie in den kommenden Minuten beginnen würden, sein Bein abzusäbeln.
Der Grund für das Kopfschütteln war jedoch ein ganz anderer: Die Papierbinde, mit der sein Bein umwickelt war, rief ausgesprochene Mißbilligung hervor. Ein älterer Pfleger hielt Gerber die blutgetränkte Binde unter die Nase und sagte: «Damit wollt ihr den Krieg gewinnen?»
Gerber hatte die Formalitäten, Röntgenaufnahmen und Blutproben hinter sich. Eine knappe Stunde nach der Ankunf t im Lazarett lag er mitten zwischen verwundeten Amerikanern in einem riesigen Zelt, dessen Seitenwände hochgerollt waren.
Die Verpflegung erreichte eine Qualität, die in Deutschland nicht einmal Sondereinheiten oder höhere Stäbe aufzuweisen hatten. Zum Frühstück gab es in beliebiger Menge frische Pfannkuchen mit diversen Konfitüren gefüllt. Pflaumenmus, das man in Deutschland aus Ersparnis bevorzugte, befand sich nicht darunter.
Bohnenkaffee kannte Gerber seit Kriegsbeginn lediglich vom Hörensagen. Für Generäle sollte es kleine Zuteilungen geben, und U-Boot-Fahrer erzählten den erstaunten
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