Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
Vom Netzwerk:
Sir!» erwiderte Gerber.
    «Get off!» rief der Kapitänleutnant wütend.
    Unsanf t wurde Gerber von zwei Männern gepackt und in den Keller geschleift. Ein Schloß schnappte zu, er stand im Dunkeln. Allmählich begrif f er, das ihn die Greifer in eine Lokuszelle gesperrt hatten. Mangels anderer Sitzgelegenheit hockte er sich auf die Brille.
    Anfangs war er guter Dinge, er fühlte sich als Held. Stunde um Stunde verrann, und niemand kümmerte sich um ihn. Gerber wurde unruhig. Habe ich wirklich nichts verraten? grübelte er. Solche Leute sind geschult, die können auch in den Mienen lesen. Als er diese Handbewegung machte, wie sah da mein Gesicht aus? Gerber wußte, daß er sich schlecht verstellen konnte. Seine Mutter hatte jedesmal gemerkt, wenn er schwindeln wollte.
    Erst Jahre später, als die Kriegsgeschichte der Briten in allen Einzelheiten gedruckt vorlag, wurde ihm klar, daß er einen kapitalen Bock geschossen hatte. Beim Gefecht vor Jersey standen der Flottille nur der britische Großzerstörer «Ashanti» und die polnische «Piorun» sowie einige alliierte Fregatten gegenüber, aber weder ein Kreuzer der Dido-Klasse noch K-Zerstörer. Diese Fehleinschätzung war ärgerlich, aber sie hatte ihn vor weiteren Verhören bewahrt.
    Gerber war auf seinem Sitz eingeschlafen. Das grelle Licht einer Taschenlampe weckte ihn. Ein Sergeant brüllte sein rauhes «Come on!».
    Draußen war schon heller Tag. Auf dem schmalen Bahnsteig versammelten sich Gefangene in kleinen Trupps. Alle waren verwundet. Der Transport ging also wirklich in ein Lazarett.
    In Gerbers Abteil kam ein Luftwaffenmajor, der sich ihm gegenüber hinpflanzte. Um den rechten Arm trug er einen dicken Verband. Am Halsausschnitt baumelte das Ritterkreuz. Gerber fragte sich, wie es dem Major gelungen war, sein Stück Blech über alle FiIzungen hinwegzuretten.
    Nach den Regeln der Etikette, die bei der Luftwaffe ebenso galten wie bei der Marine, hatte sich Gerber vorgestellt. Nun wartete er, ob der hochrangige Herr geneigt war, mit einem simplen Oberfähnrich das Gespräch zu beginnen.
    Lange Zeit herrschte Schweigen. Der Major blickte geflissentlich an Gerber vorbei und starrte aus dem Fenster. Aber schließlich ließ er sich doch herab.
    Bald war ein munteres Gespräch im Gange. Der Major hieß Kämpfe. Es stellte sich heraus, daß man auch ihn nach einem ergebnislosen Verhör in den Toilettenraum unter der großen Tribüne gesperrt hatte, allerdings seinem höheren Dienstrang entsprechend in eine größere Kabine. «Vielleicht haben auf eben jenem Lokus die allerhöchsten Herrschaften geschissen», sagte der Major und lachte. «Welche Ehre, dort übernachten zu dürfen!»
    Kämpfe war Jagdflieger. «Gestatten Herr Major gehorsamst die Frage, wo Herr Major eingesetzt waren?» Kämpfe nannte einen Ort in der Bretagne. Gerber erklärte freudig, dort viele Hafenstädte zu kennen. «Meine Flottille war in Saint-Malo stationiert ... »
    Der Major fuhr hoch. «Malo? Dieses dreckige Kaf habe ich in äußerst schlechter Erinnerung. Irgendwelche Heinis von der Marine haben da mit ihren Zweizentimeterkanonen auf meine Kiste geschossen!»
    Warum bist du auch so blöd, aus der Sonne kommend über eine vollbelegte Reede zu fliegen, dachte Gerber. Kämpfe tobte eine ganze Weile. Er hatte seinen Fehler immer noch nicht erkannt. Als der Sturm abflaute, fragte Gerber scheinheilig: «Gestatten Herr Major, ist die Verwundung etwa auf jenes bedauerliche Ereignis zurückzuführen?»
    Der Major verneinte. Verwundet wurde er viel später. Damals war überhaupt nichts passiert. «Aber diesen Kerlen hätte ich Strafdienst aufgebrummt, mindestens für zwei Tage!»
    Gerber konnte aus eigener Erfahrung bestätigen, daß die Marine in derartigen Fällen ebenso harte Strafen auszuteilen pflegte wie die Luftwaffe, die für ihre Strenge hinlänglich bekannt war. Auf diese Weise wurde die Einigkeit schnell wiederhergestellt.
     
    Die Fahrt endete in Wakefield. In diesem hübschen Städtchen hatte einst der berühmte Vikar, dessen Leben Oliver Goldsmith beschrieb, seine Tage verbracht. Mit großem Eifer und geringem Erfolg hatte Moppel versucht, dieses klassische Werk der engIischen Literatur seinen Schülern nahezubringen.
    Das Lazarett befand sich außerhalb der Stadt, in einer ehemaligen Irrenanstalt. Die Konstruktion der Fenster erwies sich als zweckentsprechend: Sie waren lediglich einen Spalt breit zu öffnen. Ausreißen konnte hier niemand.
    Zwei Abteilungen im weitläufigen

Weitere Kostenlose Bücher