Irrfahrt
begriffen hätte. Die Ausbilder gingen von dem alten preußischen Grundsatz aus, daß alle Rekruten - auch die Offiziersanwärter - in gleicher Weise dumm sind.
Thema: Rangabzeichen der Kriegsmarine. Anhand einer farbigen Wandtafel wurden die Uniformen und Abzeichen durchgenommen. Auch die Galauniform war darauf abgebildet. Sie bestand aus einem Dreiviertelrock mit riesigen Epauletten und einem Zweimaster als Kopfbedeckung. Alle bestaunten dieses altmodische Stück.
«Welchen Dienstgrad bekleidet ein Offizier, der zwei ganze Ärmelstreifen und einen Stern trägt?» Gerhard Gerber wußte das schon, als er noch auf dem Gymnasium war. Im Schlaf hätte er hergesagt, wie ein britischer und ein amerikanischer Leutnant genannt wurden und worin sich ihre Uniformen unterscheiden, wie viele Ärmelstreifen ein japanischer Vizeadmiral trug, wie ein Kapitän zur See bei der italienischen Marine hieß. Aber auf ein solches Wissen legte der Ausbilder keinen Wert. Das größte, was er sich vorstellen konnte, war ein großdeutscher Großadmiral.
«Alles stehende und laufende Gut an Bord bezeichnen wir als Tampen.» Ach du liebe Güte! Stehendes Gut in größerem Umfang gab es höchstens noch auf Segel- schulschiffen.
Der Gipfelpunkt aber war der Signaldienst. Eigentlich sollten die Rekruten das Alphabet lernen, um mit zwei Flaggen «Caesar» Winksprüche abgeben oder ablesen zu können. Jedoch verging die meiste Zeit des Unterrichts damit, daß sie bei Wind und Wetter minutenlang mit seitwärts gestreckten Armen dastehen mußten, bis ihnen die Muskeln schmerzten. Besonders geschunden wurde ein Matrose, der aus Versehen den Signalmaat mit «Herr Bootsmaat» angeredet hatte.
Die Zugführer unterrichteten Benehmen gegenüber Vorgesetzten, Unterstellungs- und Befehlsverhältnisse. Und das nicht nur theoretisch, sondern gleich an praktischen Beispielen, die - wie es hieß - mitten aus dem Dienstbetrieb gegriffen waren. «Der Führer eines Verbandes gibt einem Kommandanten den Befehl: K. an K., ich drehe nach Backbord, drehen Sie mit!»
Dieses Beispiel wurde schon seit Jahrzehnten benutzt; es tauchte wortwörtlich auch im Signaldienst und im Morseunterricht auf.
Gerber erregte sich darüber. «Immer derselbe Stuß! Die sind hier völlig rückständig und total vertrottelt!» Beinahe tat es ihm leid, sich zur Marine gemeldet zu haben.
«Das ist eben Traditionsbewußtsein», sagte Koppelmann ruhig. «aber dafür hast du wohl keinen Sinn.»
«Für dein Traditionsbewußtsein kann ich mir nichts kaufen», erwiderte Gerber spitz.
Heinz Apelt legte sich ins Mittel. «Die paar Monate werden auch vergehen, dann kommen wir zur richtigen Ausbildung auf ein Kriegsschiff. Dort ist bestimmt alles anders.»
Der einzige Trost in dieser geistigen Einöde war die seemännische Ausbildung. Die Kutter wurden ausgeöst, und stundenlang pullte die Gruppe über den Strelasund. Bei kabbeligem Wasser war das nicht ungefährlich. Der Bootsmann hatte ein Lot mitgenommen, und in der Mitte des Fahrwassers wurde die Wassertiefe gemessen. Er zeigte die verschiedenen Arten, dasLot zu schwingen und anschließend fallen zu lassen.Dazu sagte er den alten Vers auf:
Wahrschau, ihr Unnern,
Ihr Kabeljau un Flunnern,
Nu kümmt dat grote Lot
Un slaht euch alle dot.
Der Bootsmann war früher auf einem Handelsschiff gefahren und hatte dort mit vierzehn Jahren als Moses angefangen. In der ersten Zeit erhielt er mehr Schläge als Essen. Er konnte spannende Geschichten erzählen; natürlich war die Hälfte davon Seemannsgarn.
Die wenigen schönen Stunden auf dem Wasser glichen jedoch nicht aus, was die jungen Matrosen auf dem Exerzierplatz zu leiden hatten. Die meisten von ihnen waren aus Begeisterung zur Kriegsmarine gekommen: den harten militärischen Drill hätten sie widerspruchslos ertragen. Was ihre Begeisterung auf den Nullpunkt schrumpfen ließ, waren die Schikanen. Sie schienen von den Ausbildern eigens dazu erfunden, die Bedingungen für die Rekruten ins Unerträgliche zu steigern.
Die Gasmaske, ein während des ganzen Krieges überflüssiges Ausrüstungsstück, diente nur zur Verschärfung der Ausbildung. Sogar der Parademarsch wurde mit aufgesetzter Maske geübt, wenn es dem Ausbilder gerade so paßte. Hinterher konnten die hechelnden Männer eine Tasse voll Schweiß aus dem Unterteil der Maske kippen.
Ein Zug war beim Exerzieren wegen eines mangelhaft ausgeführten Gewehrgriffs aufgefallen. Der Zugführer hatte deswegen vom Kompaniechef einen
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