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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
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Hier gibt es genügend Männer, die Ausgang bis Mitternacht haben; wenn sie wollen, sogar jeden Abend. Das ist natürlich etwas anderes!» Bei diesen Worten ergriff sie das Glas und kippte den Weinbrand hinunter. Hochrot im Gesicht legte Heinz fünf Mark auf den Tisch.
    Die Freunde machten sich auf den Rückweg. Einstimmig stellten sie fest, daß ihr erster Landgang eine Fehlinvestition gewesen war. Nur für zwei Dinge hatte sich das Geld gelohnt: für die schöne Aussicht vom Turm und einige Bücklinge mittlerer Größe.
     
    Der Mangel an «passenden Mädchen» wurde von den meisten Rekruten erstaunlich gut überstanden. Hinter das Geheimnis kam Helmut Koppelmann, als sein Zug aus einem Lastwagen zahlreiche Säcke für die Kombüse abladen mußte. Auf den Säcken stand: Kristallsoda für Haushaltszwecke.
    In der Kompanie diente ein Matrose, bei dem die Soda nicht die beabsichtigte Wirkung erzielte. Vergebens bemühte er sich, in der Stadt irgendwo Anschluß zu finden. Um seine Sorgen endlich loszuwerden, zahlte er in einem Haus der stadtbekannten Mauerstraße zehn Mark. Entgegen der nachdrücklichen Belehrung, die ein Stabsarzt den jungen Rekruten erteilt hatte, unterließ er dabei elementare hygienische Maßnahmen. Wenige Tage später mußte er das Krankenrevier aufsuchen. Diagnose: Krankheit 192. Er kam auf die Station III des Lazaretts, deren Insassen die gleiche Krankheit auskurierten. Nach der Behandlung stellte ihn der Kompaniechef als abschreckendes Beispiel hin und verpaßte ihm eine Woche Arrest, damit er über seine Unterlassungssünde nachdenken konnte. Dadurch versäumte er viel Dienst und mußte die gesamte Ausbildung wiederholen.
    Alle hielten Anfang 1942 diesen Matrosen für bodenlos dumm, weil er eine glanzvolle Karriere verschenkte. Doch ihm machte das nichts aus. Ein paar Monate später, als er auf der Signalschule war, passierte ihm das Mißgeschick noch einmal. Auf diese Weise verbrachte er ein ganzes Jahr mit Ausbildung in der Heimat. Ehe er den ersten scharfen Schuß hörte, waren viele seiner Kameraden aus der Kompanie schon gefallen oder schwer verwundet.
     
    Mitte Februar bewegte ein grandioses Ereignis die Gemüter auf Dänholm: Ein Verband schwerer Überwassereinheiten der Kriegsmarine hatte von Brest aus den Ärmelkanal durchfahren und war glücklich im Kieler Hafen eingelaufen.
    Das Manöver wurde von den Offizieren als markantes Zeichen der deutschen Stärke und zugleich als Musterbeispiel nordischer List gepriesen. Nicht bei Nacht, sondern am hellichten Tage waren drei große Kriegsschiffe und zahlreiche Begleitfahrzeuge an der englischen Küste vorbeigezogen, ohne daß eine nennenswerte Abwehr erfolgte.
    Diese Schlappe hatte England vor der eigenen Haustür erlitten; sie versetzte Ausbilder wie Rekruten in eine gehobene Stimmung. Der britische Löwe konnte nicht einmal mehr brüllen, geschweige denn beißen.
    «Durchbruch gelungen! England liegt am Boden! Jetzt müßten wir landen, die Insel besetzen. Dann wäre der Krieg entschieden!» Heinz Apelt führte das große Wort. Am liebsten wäre er gleich losgestürmt, um an der Landung teilzunehmen.
    Gerhard Gerber sah die Lage etwas anders. Durchbruch? Na schön, immerhin ein taktischer Erfolg. Aber strategisch? Damit ist wohl bewiesen, daß die Zeit für den Einsatz von Großkampfschiffen im Atlantik vorbei ist. Strategisch gesehen ist das Unternehmen eher ein Rückzug.» Gerhard war sehr stolz auf seine Formulierung. Welcher gewöhnliche Rekrut vermochte schon strategische Gesichtspunkte von taktischen zu unterscheiden?
    Helmut Koppelmann beschränkte sich darauf, eine historische Parallele heranzuziehen. «Wo Anno 1588 die spanische Armada geschlagen wurde und Britanniens Aufstieg zur ersten Seemacht begann, dort wird auch sein Untergang besiegelt.»
    Die Äußerung vom «strategischen Rückzug» war irgendwie dem Bootsmann Hensche zu Ohren gekommen. Eifrig darauf bedacht, seine Scharte auszuwetzen, schritt er sofort zur «Sonderbehandlung» des Rekruten Gerber. Er überließ das nicht einem seiner Maate, sondern leitete das Unternehmen persönlich.
    «In zehn Minuten antreten! Mit Seesack, Stahlhelm, Gasmaske, Gewehr!»
    Auf dem Gelände hinter der Kaserne wurde Gerber gescheucht. «Hinlegen! Sprung auf, marsch-marsch ... Nicht so müde, Sie Blindgänger! Los, strategischer Rückzug über die Eskaladierwand! Na, wird's bald? .. Rückzug im Laufschritt! Hinlegen ... langsam vorwärts robben!» Hensche zeigte unmißverständlich auf

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