Irrfahrt
Kleiderkammer tauschte er seine Hose um. Treuherzig versicherte er, sie wäre im Bund zu eng. Man gab ihm eine Hose gleicher Länge, die im Bund mehrere Nummern größer und im Hosenbein dementsprechend weiter geschnitten war. Am nächsten Tag ließ Gerber den Bund auf der Schneiderstube passend machen. Nun hatte er einen Schlag in der Hose, den Heinz Apelt mit seinen Brettern noch nicht einmal nach zwanzig Runden erreichte.
Der bequeme Helmut Koppelmann trug die Tuchhose, wie sie war.
Der Kompaniechef hieß Krause und war 1925 in die Reichsmarine der Weimarer Republik eingetreten. Stolz erzählte er, wie er als Rekrut von einem Kapitänleutnant Graf Meysenbug geschliffen worden war. Demnach mußte Dänholm jetzt geradezu ein Sanatorium sein.
Krause hatte eine Vorliebe für Statistik. Von den Angehörigen seiner Kompanie verlangte er genaue Auskunft über Geschwisterzahl und die Berufe der Väter. Heinz Apelt meldete sich als Sprößling eines Konteradmirals. Das war nicht so schnell nachzuprüfen, denn hiervon gab es mehrere Hundert. Bei seinem Täuschungsmanöver nahm Heinz sich den Fall Busch zum Vorbild, in der stillen Hoffnung auf eine weniger strenge Behandlung.
Das war ein Irrtum. Die Kriegsmarine reagierte völlig anders als der Reichsarbeitsdienst. Wegen jeder Kleinigkeit ließen die Ausbilder ihren Admiralssohn auffallen und verpaßten ihm Strafdienst. Wenn andere längst mit Gewehrreinigen fertig waren, putzte Apelt noch an seiner Knarre und mußte sie mehrmals zur Kontrolle vorzeigen. Dabei war er ein guter Soldat und gab sich Mühe.
Gerhard und Helmut blutete das Herz, wenn sie ihren Freund keuchend den Exerzierplatz umrunden sahen. Aber sie konnten ihm nicht helfen. Diese Suppe hatte er sich selber eingebrockt.
Apelt und Gerber gehörten zu einer Gruppe, die Obermaat Bock führte. Bock war kein Mariner; er hatte lange Jahre als Futtermeister bei einer bespannten Einheit gedient. Im Sommer 1941 wurde sein Regiment aufgelöst, weil bespannte Einheiten überzählig waren. Die Marine brauchte gerade Ausbilder, und so mußte Bock urplötzlich den blauen Rock anziehen. Darüber war er selbst nicht glücklich. Von Seemannschaft hatte er keine Ahnung. Sobald Kutterpullen auf dem Dienstplan stand, wurde er als UvD eingeteilt, und ein anderer Maat führte dann seine Gruppe.
Bock trauerte den vergangenen Zeiten nach. Am liebsten hätte er mit seinen Rekruten Dienstunterricht über das Verladen von Pferden oder über die Fütterung der Tiere auf dem Transport abgehalten. Doch Pferde waren bei der Marine nicht gefragt.
Obermaat Bock sprach ein Deutsch, das an der Küste Seltenheitswert besaß. Redewendungen wie: «Die Leute, wo krank sind», «Machts keinen so Lärm!» erregten allgemeine Heiterkeit. Stellte sich ein Matrose besonders ungeschickt an, nannte ihn Bock einen Tupf.
Mit Fremdwörtern hatte er meistens Pech. Einmal sagte er zu Gerber: «Telligent wollen Sie sein, Sie Unsoldat? Intelligent sind Sie!»
Wegen seiner Eigentümlichkeiten hatte Bock bei der Marine keinen leichten Stand. Seine Vorgesetzten schüttelten die Köpfe, und seine Rekruten machten sich oft über ihn lustig. Als Ausbilder auf dem Kasernenhof aber war er eine Perle, das mußten sogar die Maate zugeben. Von infanteristischer Grundausbildung verstand er mehr als die anderen Gruppenführer. Seinen Rekruten brachte er viele kleine Tricks bei: wie man ein Koppel so putzt, daß es noch drei Tage später glänzt; Wo ein Unteroffizier zuerst hinschaut, wenn er das Gewehrreinigen kontrolliert; wie man sich unter der Gasmaske beim Laufen Zusatzluft verschaft oder mit dem geringsten Arbeitsaufwand Betten baut. Bock war ein Kumpel.
Auf der kahlen, windigen Insel war das Exerzieren in den Wintermonaten eine Qual. Mit ihren steifgefrorenen Fingern konnten die Rekruten das Gewehr kaum noch halten, geschweige denn zackige Griffe ausführen. «Seemann, frierst du?» lautete die Frage. Darauf hatte jeder zu antworten: «Nein, Herr Bootsmaat, ich zittere vor Wut, weil es kalt ist!» In den kurzen Erholungspausen wurden Freiübungen gemacht, um die Hände zu erwärmen. Das half jedoch nur für wenige Minuten. Deshalb waren die Rekruten froh, wenn sie sich während des theoretischen Unterrichts in einem geheizten Raum aufhalten konnten.
Der Lehrstoff wurde ihnen umständlich und mit zahlreichen Wiederholungen eingetrichtert. In den vier Monaten auf Dänholm lernten sie etwa so viel, wie ein durchschnittlich klarer Kopf in einer Woche
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