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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
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ihre Werftkapazität jedoch wesentlich geringer war als die der USA.
    Nun waren alle Großmächte der Welt in den Krieg verstrickt. Deutschland und Italien hatten - zwei Tage nach Pearl Harbor - gemäß dem 1940 mit Japan geschlossenen Dreierpakt ebenfalls den USA den Krieg erklärt.
    Es war nicht recht vorstellbar, welche Folgen sich aus dieser Ausweitung ergeben würden. Wollte man an den Küsten Nordamerikas landen oder New York von Europa aus bombardieren?
    «Jetzt kommen wir doch noch zurecht», sagte Helmut Koppelmann und sah sich im Geiste bereits den großen Verlust wettmachen, den die U-Boot-Waffe allein im März 1941 durch den Tod der Kommandanten Prien, Schepke, Schrott und Kretschmer erlitten hatte.
    Kurz vor Silvester trafen die Einberufungsbefehle ein. Die Mütter nahmen sie mit Wehmut, die Väter mit Fassung, die Söhne mit Gelassenheit zur Kenntnis, eben mit jener Gelassenheit, die einen künftigen Seemann auszeichnet.
    Für alle drei war angegeben: 7. Schiffsstammabteilung Stralsund. Anreise 7. Januar 1942.
     
    Die kostenlose Fahrt nach Stralsund wurde dazu genutzt,einen ganzen Tag in Berlin umherzustreifen. Ein ausgedehnter Stadtbummel stand auf dem Programm, möglichst in netter Begleitung. Nach einigen mißglückten Annäherungsversuchen merkten die drei Freunde, daß sie als schäbige Zivilisten keine Chancen hatten.
    Überhaupt war Berlin eine Enttäuschung. Die Innenstadt lag im trüben Licht eines grauverhangenen Himmels. Bei dieser Beleuchtung zeigte die Prachtstraße Unter den Linden nur wenig vom Glanz der Vergangenheit. Die berühmten Denkmäler waren eingemauert, die Museen geschlossen, weil ihre wertvollen Bestände gerade ausgelagert wurden. Überall traf man auf Spuren der nächtlichen Luftangriffe. Große Schaufensterscheiben waren zersprungen und notdürftig durch Pappe und Bretter ersetzt.
    Bei Kranzler, dem weltbekannten und vielbesungenen Cafe, ruhten sie sich ein wenig aus. Natürlich gab es Malzkaffee; zu jedem Kännchen wurden zwei Tabletten Sacharin gereicht. In den ungeheizten Räumen war es hundekalt, die meisten Gäste behielten ihren Mantel an. Ein Kellner im Frack entschuldigte sich höflich wegen dieses Umstandes.
    Gemächlich schlenderten die Freunde zum Brandenburger Tor. Dort stand ein Posten, obwohl es gar nichts zu bewachen gab. Als ein Ritterkreuzträger in Sicht kam, trat die Wache heraus und präsentierte das Gewehr. Mit Kennermiene beobachteten die drei jede Bewegung. Das war doch etwas anderes als die lächerlichen Spatengriffe des Arbeitsdienstes! Aber selbst dieses militärische Schauspiel konnte ihre gedrückte Stimmung nicht vertreiben.
    Am Zoo entstand ein riesiger Bunker. Der Boden ringsum war aufgewühlt, die schöne Tiergartenlandschaf verschandelt. Scharen von Fremdarbeitern wurden zur Eile angetrieben. Es wimmelte wie in einem Ameisenhaufen, denn für die schwere Arbeit waren nicht genügend technische Geräte vorhanden.
    Ziellos bummelten sie den Kurfürstendamm entlang. Auf den breiten Straßen herrschte wenig Verkehr: ein paar Wehrmachtsfahrzeuge und Dienstwagen, nur selten ein Privatauto. Die Taxis fuhren überwiegend mit Propangas; es wurde in einem großen, am Heck festgeschnallten Druckbehälter mitgeführt. Noch stärker verunstaltet waren die Lastwagen. Neben dem Führerhaus hatte man einen riesigen Holzkocher eingebaut. Das schwelende Feuer erzeugte Holzgas, das in einem aufgesetzten Röhrensystem gekühlt und von dort als Treibstoff in den Motor geleitet wurde. Diese primitive Energieerzeugung erbrachte nur geringe Leistung, und so schlichen die Fahrzeuge im Schneckentempo dahin.
    Vor einer Litfaßsäule machten die jungen Männer halt. «Mal sehen, was in diesem Nest los ist», sagte Heinz Apelt hoffnungsvoll. Aufmerksam studierten sie die Plakate:
    Im Metropol-Theater sang Johannes Heesters, aber erst abends; da saßen sie leider schon im Zug nach Stralsund.
    Herms Niel gab mit seinem Orchester ein Konzert im Sportpalast. Koppelmann behauptete, für die Nachmittagsvorstellung in einem so riesigen Gebäude wären bestimmt noch Karten erhältlich. Die beiden anderen protestierten. Herms Niel bekleidete einen hohen Rang im Arbeitsdienst, und vom Arbeitsdienst hatten sie endgültig genug.
    Boxkampf um die Europameisterschaft im Schwergewicht: Der flämische Meister Karel Sys tritt an gegen Olle Tandberg aus Schweden. Unaufdringlich wurde damit klargestellt, wo Europa lag und wer es beherrschte. Die drei hätten den Kampf brennend gern

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