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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
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miterlebt, doch er fand erst in einigen Tagen statt.
    Nach all diesen Fehlschlägen blieb noch das Kino. Trotz eifriger Suche konnten sie nur einen Film entdecken der im zeitgenössischen Marinemilieu spielte - «U-Boote westwärts» -, und den hatten sie schon zweimal gesehen. Die deutschen Filmgesellschaften bevorzugten andere Waffengattungen, vor allem die Flieger; den Krieg zur See schien man dort nicht ernst zu nehmen, obwohl sich gerade jetzt die Meldungen über Schiffsversenkungen häuften. Die Zeit der grauen Atlantikwölfe war wiedergekommen.
    Mit wund gelaufenen Füßen erreichten sie ihren Zug knapp vor der Abfahrt. Die Abteile waren überfüllt. Müde und hungrig standen sie im Gang und schworen sich: Nie wieder Berlin!
     
    Das Ausbildungslager der 7. Schiffsstammabteilung befand sich auf Dänholm, einer kleinen Insel nördlich von Stralsund. Es dauerte drei Tage, bis der Haufen von über tausend neuen Rekruten in Kompanien eingeteilt war. Inzwischen vergingen die freien Stunden mit Kartenspiel. Gerber nahm einigen unerfahrenen Kameraden beim Skat zehn Mark ab. Großzügig lud er die Verlierer in die Kantine ein. Zu einem zünftigen Seemann gehört nach herkömmlicher Auffassung auch eine bestimmte Einstellung zum Geld. Als Rekruten erhielten sie eine Mark Sold pro Tag; beim Arbeitsdienst hatte es nur fünfundzwanzig Pfennig gegeben. Dementsprechend fühlte Gerber sich viermal so stark.
    Die Freunde kamen zur fünften Kompanie. Damit hatten sie ein schlechtes Los gezogen. Die Kompanie war in den ältesten Gebäuden untergebracht; schon zur Kaiserzeit hatten sie den Seebataillonen als Unterkunft gedient. Alle Stuben trugen Namen, die von irgendeiner ehemaligen deutschen Kolonie her stammten. Apelt und Gerber kamen auf die Stube «Palauli», Koppelmann zum zweiten Zug auf die Stube «Bikini». Niemand wußte, in welcher Himmelsrichtung diese Orte zu suchen waren.
    Bei der Ausgabe des Blauzeugs bewies die Kriegsmarine eindeutig ihre Überlegenheit gegenüber dem Arbeitsdienst. In Ruhe wurden Körpergröße, Bundweite und Ärmellänge gemessen, ehe die Kammerbullen in die aufgestapelten Uniformen griffen. Jeder Rekrut zog mit einem prallgefüllten Seesack ab. Stundenlang wurden auf der Stube Schlipse gebunden. Die Bändsel am weißen Arbeitszeug erforderten einen komplizierten Zierknoten, der Mützenbügel mußte in eine möglichst schneidige Form gebracht werden. Ein ganzer Sonntag verging mit Annähen der Namenläppchen. Helmut Koppelmann zählte hundertsechsundzwanzig Stück je Person, vom hohen Hut bis zu den Filzlatschen.
    «Ihr seid hier nicht in einer Kaserne, ihr seid auf einem Schiff!» wurde ihnen gleich zu Anfang verkündet. «Bei uns gibt es keine Betten, sondern Kojen, keine Eimer, sondern Pützen, keine Dachluken, sondern Skylights, keinen dritten Stock, sondern ein C-Deck.»
    Also benahm sich jeder in diesem Steinkreuzer wie auf einem richtigen Schiff. Heinz Apelt erhielt vom Obermaat den Auftrag, einen Zettel in die Schreibstube zu bringen. «Ayeaye», sagte Apelt nach alter Seemannsart. Der Obermaat fuhr ihn an: «Sie haben zu sagen! Sie Spund sind hier in einer Kaserne und nicht auf einem Schiff!»
    In einem Punkt waren alle Rekruten mit ihrer Bekleidung unzufrieden: Die Weite der Hosenbeine entsprach keineswegs den Vorstellungen vom Schlag einer echten Seemannshose. Diese Sparsamkeit war nicht etwa eine Auswirkung des Krieges, sondern Tradition. Schon seit Jahrzehnten gab es bei der Marine keilförmige Bretter aus Sperrholz, die von unten in das angefeuchtete Hosenbein geschoben wurden. Wer mehrere Wochen hindurch seine Hose auf diese Weise dehnte, konnte die Weite um vier oder fünf Zentimeter verbessern.
    Die Benutzung solcher Bretter war seit ihrer Erfindung streng verboten. Oft genug krachten dabei die Nähte. Auf den Gedanken, die Hosenbeine etwas weiter zuzuschneiden, kam bei der Marine niemand.
    Heinz Apelt besorgte sich einen Satz Spannbretter. Abend für Abend würgte er den angefeuchteten Stof über das Holz und freute sich über jeden Millimeter. Es war eine harte Arbeit.
    Bei der Spindmusterung wurde ein Matrose erwischt, dessen Hose noch mit Spannbrettern dahing. Er bekam drei Tage Arrest. Strafe abzusitzen war nicht schlimm, aber sie wurde ins Führungsbuch eingetragen; noch Jahre danach konnten ihm seine Vorgesetzten die einstige Sünde vorhalten.
    Gerhard Gerber war dieses Unternehmen zu riskant. Er fand eine viel einfachere Lösung. In der

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