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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
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ihre Stadt befestigt, Kirchen und Schulen gebaut, Produktionsstätten errichtet. Die wild zerklüftete Küste bot einen natürlichen Schutz. Im zwanzigsten Jahrhundert entdeckte man den landschaftlichen Reiz. SaintMalo wurde Seebad.
    Von dem regen Handelsverkehr früherer Zeiten zeugten noch die Drehwippkräne, die in langer Reihe am Beckenrand standen. Jetzt lagen zu Kriegszwecken umgebaute Fischdampfer und Logger an der Pier, dazwischen in bunter Folge M-Böcke und Schnellboote. Der Krieg beherrschte den Hafen, wie er das Bild in den Straßen bestimmte. Deutsche Uniformen überall: Marine, Luftwaffe, Heer, Organisation Todt.
    Mühsam fragten sich die Matrosen zu ihrer Flottille durch.
     
    Der Oberbootsmann in der Verwaltung machte sich die Arbeit sehr einfach. «Hier sind eure Laufzettel, jeder steigt auf ein anderes Boot, meldet euch beim Kommandanten!» Wahllos drückte er jedem ein Kärtchen in die Hand, und somit waren die Schicksale entschieden.
    Boot 4600 - las Gerhard auf seiner Karte. Die beiden Nullen erweckten keine übertriebenen Hoffnungen. Der Posten am Tor wies ihn zu einem kleinen, schmutziggrauen Fischdampfer mit einem riesigen Schornstein. Andere hatten Logger gezogen, einige sogar große Dampfer mit schwerem Geschütz und zahlreicher Mannschaft.
    Im ersten Augenblick war Gerhard niedergeschmettert. Dieser häßliche Kahn hatte mit einem modernen Minensuchboot nicht die geringste Ähnlichkeit. Aber die Bewaffnung war nicht übel. Eine Zwillings-Dreikommasieben stand auf der Back, dahinter eine Zwei- zentimeterkanone. Am Heck war ein Vierling montiert, und auf der Brücke entdeckte Gerhard zwei überschwere Maschinengewehre.
    Der «Posten Seeseite» schlug ihm kräftig auf die Schulter.«Ist ja prima!» rief er. «Schon wieder ein Gast! Erst vorgestern ist einer bei uns eingestiegen. Vogel heißt er.»
    Vorsichtig fragte Gerhard, warum der Posten so erfreut war.
    «Na klar, die jungen Gasten müssen tüchtig ran. Wer erst mal Obergefreiter ist, macht hier sowieso keinen Schlag mehr. Nicht mal Wache stehen wollen die Brüder! Alles hängen sie uns auf. Zwei Neue, das haut einigermaßen hin!»
    Gerhard musterte seinen Gesprächspartner verstohlen. Am Ärmel trug er nur einen Winkel.
    «Eigentlich hätte ich jetzt befördert werden müssen», sagte der Gefreite, «aber sie haben mich erwischt. Beim Fliegeralarm. Statt im Bunker zu sein, stehe ich vor dem Eingangsloch und gucke, ob einer kommt. Natürlich kam einer! Aber kein Flugzeug, sondern ein Kettenhund. Gleich hatten sie mich am Haken. Fünf Tage Bau! Für das nächste halbe Jahr ist für mich nichts drin. Dabei könnte ich schon längst Obergefreiter sein. Immer kurz vorher...»
    Der Gefreite hieß Ritter. Er war ein Pechvogel.
    Ritter zeigte dem neuen Besatzungsmitglied den Weg ins Mannschaftslogis. Gerhard öffnete das eiserne Schott und spähte in den halbdunklen Raum. Die Kojen standen zweistöckig übereinander, die Vorhänge waren zugezogen. Dahinter ertönte lautes Schnarchen. Die Besatzung hielt Mittagsruhe.
    Ein verschlafenes Gesicht wurde sichtbar. Es gehörte, wie drei Winkel am hochgekrempeIten Ärmel der Arbeitsbluse auswiesen, einem Hauptgefreiten. Gerhard nannte seinen Namen. Freudig bewegt schüttelte ihm der Hauptgefreite die Hand. «Schabe, Decksältester», sagte er. «Das ist ja prima! Schon wieder ein junger Gast!»
    Der Ausruf hatte einige Schläfer geweckt. Sie begrüßten den Ankömmling mit Handschlag. Auf Matrosen und Gefreite schien man hier großen Wert zu legen. Zum ersten mal in seiner Militärzeit hatte Gerhard das Gefühl, wirklich gebraucht zu werden.
    Ein Gefreiter namens Althoff, ein fixer Hamburger, sagte in unverfälschtem Dialekt: «Mann, du kommst eine Stunde zu spät, sonst hättest du von zwölf bis vier Wache schieben können!»
    Alle lachten. Althoff war der Spaßmacher im Deck, er sorgte für Abwechslung. Die Kumpels mochten ihn, die Vorgesetzten dagegen weniger. Er riß manchmal Witze auf Kosten eines Maates oder gar auf Kosten des Kommandanten.
    Vier Stunden Wache wollten sie mir gleich aufbrummen, dachte Gerhard. Das sind ja nette Aussichten! Gerber bekam die Koje über Heinrich Vogel. Dessen Los bestand vor allem darin, Zielscheibe der Spötteleien von Althoff zu sein.
    Vogel, der ebenfalls aus Hamburg stammte, war an dieser Entwicklung nicht ganz unschuldig. An seine Spindtür hatte er die Photographie eines hübschen Mädchens geheftet. Sofort wollten einige wissen, ob das seine. Freundin wäre.

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