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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
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hohe Auszeichnung für einen einfachen Matrosen!
    Gerber war der einzige, der in die allgemeine Fröhlichkeit nicht einstimmte. Was er von dem Schreibstubenmaat erfahren hatte, zerschlug all ihre Pläne und Hoffnungen. Sie hatten fest damit gerechnet, auch weiterhin zusammenzubleiben. Am besten natürlich auf einem Boot, oder wenigstens bei der gleichen Schiffsgattung. Zu dritt war manches leichter zu ertragen; Eckdorf und Dänholm hatten es bewiesen. Aber in Zukunft, wo jeder auf sich allein gestellt sein würde? Vor allem Heinz, der ihre Freundschaft dringend brauchte, weil er in seiner grenzenlosen Naivität so oft übers Ziel hinausschoß ...
    Am nächsten Morgen, als die Seesäcke schon gepackt waren, verlas der Spieß die Kommandierungen. Apelt und Koppelmann standen wie erstarrt. Sie wollten es nicht glauben. Doch an der Wirklichkeit war nichts zu deuteln.
    Für den Abschied blieben nur wenige Minuten Gerhard beinahe froh darüber. So konnte Helmut, der sicherlich schon Verdacht geschöpft hatte, keine unangenehmen Fragen mehr stellen.
    Mit dem Laufbahnabzeichen am Ärmel wurden die drei Freunde in Marsch gesetzt. In drei verschiedene Himmelsrichtungen zogen sie, um den Kampf für Deutschland zu gewinnen.
     

 
    4. Kapitel
    Im Seeräubernest
    Müde von der Bahnfahrt, die hinter ihnen lag, und gespannt auf die fremde Stadt, die vor ihnen lag, stand Gerhard Gerber mit neun anderen Matrosen vor dem Bahnhof Saint-Malo. In Stralsund hatte der Fourier die künftigen Minensucher für zwei Tage mit Brot und Wurst versehen, in Hamburg mußten sie einige Stunden auf ihren Anschlußzug warten, in Köln waren sie umgestiegen, in Versailles hatten sie in einer Wehrmachtbaracke übernachtet. Nun waren sie am Ziel: in dem kleinen Seeräubernest, eingeklemmt im Winkel zwischen Bretagne und Normandie.
    Die jungen Matrosen hatten eine lebhafte Hafenstadt mit buntem Getriebe erwartet, doch sie wurden enttäuscht. Der Straßenverkehr war mehr als dürftig; ab und zu ein Lastwagen der Wehrmacht oder ein Pferdefuhrwerk. Ein großer Parkplatz in Bahnhofsnähe beherbergte nur zwei Autoveteranen mit Rostflecken an der Karosserie.
    Die Schaufenster vieler Geschäfte waren mit Brettern vernagelt. Den Firmenschildern konnte man entnehmen, daß hier früher mit Autos, Lederwaren, Elektrogeräten und Fotomaterial gehandelt wurde, mit Produkten, die es offensichtlich nicht mehr zu kaufen gab. Geschlossen hatten auch alle Tabakläden. Die Bevölkerung bekam keine Raucherkarte, keine regelmäßige Zuteilung an Zigaretten oder Zigarren. Gerber beobachtete, wie sich eine Dame mitten auf der Hauptstraße eilig nach einem Zigarettenstummel bückte.
    Die Dame trug ein elegantes Kostüm. Die meisten Franzosen aber, denen die Ankömmlinge auf ihrem Gang durch die Vorstadt begegneten, waren schäbig gekleidet. Und noch etwas fiel auf: Es waren überwiegend ältere, mürrisch dreinblickende Menschen. Die Jugend Frankreichs hatte der Krieg verstreut. Viele ehemalige Soldaten saßen in Deutschland gefangen hinter Stacheldraht; andere junge Männer und Mädchen hatte man dienstverpflichtet und zwangsweise zur Arbeit ins Reich transportiert. Nicht wenige waren untergetaucht, in die Wälder gelaufen zum Maquis.
    Die Straßen starrten vor Schmutz. Überquellende Mülltonnen, vollgestopfte Papierkörbe, an den Rinnsteinen häufte sich der Abfall. Wer sollte ihn beseitigen, woher sollten die Fahrzeuge kommen?
    Etwas beklommen marschierten die zehn Matrosen weiter. Ihren Einzug in Frankreich, wo man wie Gott leben sollte, hatten sie sich anders vorgestellt.
    Ein prunkvoller Bau kam in Sicht. «Casino» stand über dem Portal. Darunter hing eine Holztafel: «Soldatenheim der Deutschen Wehrmacht. Kein Zutritt für Zivilisten». Und dasselbe in französischer Sprache.
    Der Weg führte an einem großen Gebäudekomplex vorbei. Clausewitz-Kaserne. Ein Posten mit Stahlpütz und Gewehr hielt neben dem schwarzweißroten Schilderhaus Wache.
    Die jungen Matrosen fanden das ganz in Ordnung. Frankreich hatte kapituliert, der Norden und Westen des Landes waren besetzt, und selbstverständlich standen hier deutsche Posten vor deutschen Kasernen. Ebenso selbstverständlich trabten deutsche Matrosen zu ihren Einheiten in Le Havre, Cherbourg, Brest oder zu ihren deutschen Minensuchbooten in dem weniger bedeutenden Hafen von Saint-Malo.
    Die Einwohner dieser Stadt ernährten sich seit Jahrhunderten vom Fischfang. Sie hatten ehrlichen Handel getrieben und Seeräuberei, hatten

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