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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
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Schiffsraum. Nur der allernotwendigste Verkehr konnte aufrechterhalten werden, unter großen Gefahren. Dadurch war das gesamte Wirtschaftsleben der Kanalinseln schwer in Mitleidenschaft gezogen. Die Freundlichkeit der Händler fand in der mangelnden Nachfrage ihre Erklärung.
    Am Nachmittag hatte Gerber Zeit für einen Spaziergang. Er bewunderte die gotische Kirche, das Schloß und die vielen weißgetünchten, im Kolonialstil erbauten Villen, in denen früher wohlhabende Kaufleute aus London oder Liverpool ihren Sommer zu verbringen pflegten. Die Villen waren umgeben von Gärten mit einer überwältigenden vielfarbigen Blütenpracht.
    Vom Gipfel des Hügels genoß man einen weiten Blick nach Jersey und Alderney und auf die nahe gelegene Insel Sark. Diese schöne romantische Welt erschien Gerber wie ein Paradies, wie eine Oase mitten in der Wüste des Krieges.
     
    Wieder einmal befanden sich die Boote nachts auf See, wieder einmal sollten Minen gefischt werden, wieder einmal gab es für die Männer keine Minute Schlaf. Flugbeobachter hatten vor der Hafeneinfahrt feindliche Flugzeuge brummen hören. Möglicherweise hatten sie Minen geworfen.
    Stundenlang heulte das Aggregat in auf- und abschwellendem Ton, der an den Nerven zerrte. Doch alle Suche war vergebens. Kurz vor Sonnenaufgang, als die Boote zwischen den Klippen hindurch in Richtung Hafen dampften, brachte ein Funker die letzte, schon entschlüsselte Meldung auf die Brücke. Sie enthielt eine Hiobsbotschaft. Weiter draußen waren in der Nacht zwei Vorpostenboote auf Minen gelaufen und gesunken. Die Meldung der Beobachter stimmte also. Mit ihren mangelhaften Geräten, die noch aus der Vorkriegszeit stammten, hatten sie Entfernung und Richtung der Abwürfe nicht genau berechnen können.
    Häfners Gruppe mußte das fragliche Gebiet nach Überlebenden absuchen. Sofort drehten die Boote auf Gegenkurs. Gerber war auf Deck eingeteilt. Er stand gegen den Schutzschild einer Kanone gelehnt und hielt Ausguck. Sobald ihn die Müdigkeit übermannte, sackten ihm die Knie weg; dabei stieß er mit dem Rücken gegen eine scharfe Kante am Schild. Der heftige Schmerz machte ihn hellwach, aber nur für wenige Minuten.
    Als die aufgehende Sonne genügend Helligkeit verbreitete, durfte geraucht werden. Die Männer pafften eine Zigarette nach der anderen; es war die einzige Möglichkeit, sich wach zu halten.
    Voraus kamen drei Schlauchboote in Sicht. Mit Höchstfahrt lief Häfners Gruppe darauf zu. Nur sieben Menschen saßen in den Booten. Sie waren durchnäßt und völlig erschöpft. Aus ihrem Bericht ging hervor, daß das erste Vorpostenboot innerhalb von drei Minuten gesunken war. Den Rottenknecht, der die Besatzung aufnehmen wollte, ereilte das gleiche Schicksal. Rettungsboote kamen in der kurzen Zeit nicht mehr ins Wasser, und so sprangen die Männer mit ihren Schwimmwesten einfach über Bord. Nur einige hatten sich in die Schlauchboote begeben und waren hastig weggerudert, um nicht in den Sog der untergehenden Schiffe zu geraten. Sieben Überlebende von mehr als achtzig Mann! Wo blieben die anderen? Seit der Katastrophe waren acht Stunden vergangen. Es bestand kaum noch Hoffnung, daß jemand so lange im Wasser überlebt hatte. Trotzdem befahl Häfner, alle schwimmenden Körper aufzufischen; er wollte nichts unversucht lassen.
    Die ersten wurden an Bord geholt. Ihre Gesichter waren aufgedunsen und von den Qualen des Todeskampfes gezeichnet. Die anderen Boote signalisierten dasselbe Ergebnis: Die Hilfe kam zu spät, alle Schwimmer waren bereits tot.
    In einer Reihe lagen siebzehn Leichen auf dem Achterdeck. Mancher hatte seine Schuhe ausgezogen, ehe er abgesprungen war. Die meisten trugen sie noch an den Füßen; es war ihnen nicht gelungen, sich davon zu befreien. Nur geübte und geschickte Schwimmer brachten das fertig, ohne dabei Wasser zu schlucken.
    Ein Bootsmann trug unter der Schwimmweste einen pelzgefütterten Mantel. Tief hatte er mit seiner Kleidung im Wasser gelegen. Er mußte bald tot gewesen sein. Mit einem derartigen Mantel kann niemand lange schwimmen. Ebensowenig mit einer Lederhose, die sich voll Wasser saugt. Der Signalgast, der neben dem Bootsmann lag, hatte versucht, seine Lederhose abzustreifen. Dabei hatte sie sich um seine Füße verheddert, und er war verloren.
    Diese Beobachtungen machte Gerber, während er sich zwang, nicht in die Gesichter der Toten zu blicken.
    Die achtzehnte Leiche trieb heran. Zwei Möwen hockten auf ihrem Kopf und zankten sich

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