Irrfahrt
Zeit soviel wie möglich an Wissen und Können zu vermitteln. Ein Durchgang jagte den nächsten; trotzdem blieb die Zahl der ausgebildeten Besatzungen immer noch weit hinter den Anforderungen des BdUStabes zurück.
Die Ausbilder waren durchweg befahrene Leute. Viele kamen von den U-Booten, waren verwundet oder aus anderen Gründen dienstuntauglich geworden. Andere wieder hatten auf Zerstörern oder Torpedobooten Dienst getan und sich dort Kenntnisse im Einsatz der Torpedos in Überwasserfahrt und natürlich auch in der Bekämpfung von Unterseebooten erworben.
Immerhin waren die Ausbilder in Gotenhafen weitaus tüchtiger als in Stralsund, wie Koppelmann sehr bald merkte. Solche Typen wie Bock oder gar Döring waren hier undenkbar. An der U-Boot-Schule lehrten Männer mit Fronterfahrung. Sie wußten, was sie wollten und was von ihnen erwartet wurde.
Besatzungen für neue U-Boote mußten ausgebildet werden. Die genauen Zahlen waren geheim. Koppelmann hörte munkeln, daß jeden Tag ein U-Boot vom Stapel lief. Alles diente nur dem einen Ziel: die neuen Boote mit gut ausgebildeten Besatzungen zu bemannen.
Diesem Ziel wurde alles untergeordnet. Urlaubswünsche blieben unerfüllt, wenn sie die Ausbildung störten. Arreststrafen wurden verhängt, aber durch Strafdienst abgegolten; die Ausbildung durfte nicht leiden. Nachtarbeit wurde befohlen, als ein Schulboot Maschinenhavarie zeigte. Am nächsten Morgen lag es bereit zum Auslaufen, die vorgesehene Übung fand statt.
Helmut stöhnte. Ein paar ruhige Stunden wären ihm lieb gewesen. Sein Ausbilder tröstete ihn: «Das ist noch gar nichts. Komm erst mal in den Atlantik! Dort wirst du an die goldenen Zeiten von Gotenhafen zurückdenken!»
Ein Grund für die Antreiberei wurde gesprächsweise erwähnt. «Anfang Februar war unsere Ausbildung vollkommen festgefahren. Ein U-Boot aus Leningrad legte Minen in die Danziger Bucht. Drei Wochen haben unsere Minensucher gebraucht, bis die Bucht wieder frei war. Natürlich fiel die gesamte Seeausbildung auf den Schulbooten aus. Uns war das ja egal, aber der BdU hat geflucht wie ein Türke!»
Befehlshaber der U-Boote war Admiral Karl Dönitz.
Der Tagesablauf war in theoretische Schulung und praktische Ausbildung eingeteilt. An der Pier lagen drei Schulboote, die gruppenweise umschichtig benutzt wurden. Ihre Besatzung stellte einen gewissen «Stamm,» dar; er besetzte die wichtigsten Funktionen auf dem Boot oder leitete die Neulinge an. Die Übungsboote waren mächtig zerbeult, sie hatten im Fronteinsatz schon allerhand mitgemacht. Für andere Zwecke waren sie nicht brauchbar, weil ihre Nieten leck zu springen begannen. Koppelmann überlegte, ob sein späteres Boot auch einmal so aussehen würde.
Zunächst lernten sie «einsteigen» und «aussteigen». Jeder begriff, wie bedeutungsvoll diese Übung beim Schnelltauchen oder beim Auftauchen sein mußte. Ein Bootsmann stand mit der Stoppuhr dabei. Anfangs brauchten zwanzig Mann etwa zwei Minuten. Allmählich wurden die Zeiten besser. «Rekord» waren sechsunddreißig Sekunden, «Soll» fünfundvierzig. Als schließlich Werte um eine Minute erreicht wurden, waren die meisten Männer am Verzweifeln. Ihre Körper wiesen unzählige Schrammen und blaue Flecken auf. Einige hatten böse Verletzungen erlitten.
Für die Artilleristen gab es wenig Neues, sie kannten ihre Geschütze. Schwierig wurde es, wenn die Boote in See waren und auf Schleppscheiben und Luftziele schießen mußten. Die Artilleristen waren gewohnt, auf einer sanft schaukelnden Plattform nach Richtzapfenpeilung zu feuern. Sobald das kleine Fahrzeug wild in einem Bogen von mehr als fünfundvierzig Grad rollte, gaben sie dies auf. Sie schossen «frei nach Schnauze», ohne irgendwelche Unterlagen.
Manche Geschützführer konnten das erstaunlich gut. Sie gaben sich Mühe, diese Kunst auch ihren weniger begabten Kameraden beizubringen. Das gelang nur unvollkommen. Keiner wußte genau, wie «es» eigentlich gemacht wurde. Unter derartigen Bedingungen zu treffen, war Gefühlssache und nicht erlernbar. Die «Naturtalente» erhielten eine besondere Eintragung in ihr Führungsbuch. Sie waren auf den Frontbooten sehr gesucht.
Koppelmanns Schwärmerei für Schlachtschiffe blieb den anderen Lehrgangsteilnehmern nicht verborgen. «Geh mal zum Hafenbecken vier. Da kannst du noch einen anderen großen Pott sehen!»
War das bloß eine Anzapfung, oder stimmte es wirklich? Um sich keiner Blamage auszusetzen, zog Helmut in einer freien
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