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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
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nicht gerade beruhigend.
    Stunde um Stunde heulte eintönig das Aggregat, Stunde um Stunde kreuzten die Boote auf See. Aus der Stellung verschiedener Leuchttürme konnte Gerber ersehen, daß sie von der Hafeneinfahrt nicht sehr weit entfernt waren. Als der Morgen graute, standen sie eine halbe Meile vor Les Bouharats Ouest, der Ansteuerungsboje der Einfahrt. Die Geräte wurden eingeholt, zuerst mit einer Winsch, dann von Hand. Der Einsatz war beendet.
    Die Männer waren hundemüde; niemand hatte in der Nacht ein Auge zugetan. Matrose Meyer mußte von acht bis zwölf auf Posten ziehen, ohne eine Ruhepause. Die anderen legten sich in ihre Kojen. Erleichtert stellte Gerber fest, daß er jetzt nicht mehr der Jüngste an Bord war. Auf der Stufenleiter war er ein kleines Stückchen nach oben gerückt. Schon halb im Schlaf, dachte er: Wir haben zwar keine einzige Mine erwischt, aber es war doch ein richtiger Kriegseinsatz. Das muß ich meinen Freunden schreiben, gleich morgen ...
     
    Die Männer starrten in die finstere Nacht. In den Abendstunden hatte die Gruppe Häfner ein Geleit übernommen, dessen Bestimmungsort die Kanalinsel Guernsey war. Eine Routinearbeit, die schon Dutzende von Malen ohne Zwischenfall erledigt worden war.
    Als sie abends in Granville eintrafen, lagen die Handelsschiffe auf Reede. Ein mittlerer Tanker gehörte zum Transport, ein Frachtdampfer namens «Bizon» und mehrere Küstenmotorschiffe. Das kleinste hieß «Spessalutis», Hoffnung auf Rettung. Die Lords nannten diesen Kahn einfach «Spekulatius». Er war im Geleit nicht sehr beliebt, weil seine Maschine unzuverlässig arbeitete. Manchmal blieb er zurück oder stoppte für einige Minuten. Häfner wurde dann immer ärgerlich und ließ die schlechte Laune an seiner Besatzung aus.
    Diesmal verlief alles glatt. «Spekulatius» mußte sich an die Spitze setzen. Selbst wenn er sackte, blieb er immer noch für längere Zeit in Reichweite der Geleitfahrzeuge. Eine ruhige Sommernacht ...
    Sie näherten sich der Insel Jersey. Plötzlich zerriß eine helle Stichflamme das Dunkel. Alle waren geblendet. Über hundert Meter hoch stach der grelle Blitz in den schwarzen Himmel, gelb und rot wie ein riesiges Bündel Feuerwerksraketen. Ein Frachtschiff war explodiert. Gerber hielt sich die Ohren zu, so laut rollte die Erschütterung der Explosion über die Wasserfläche. Sekunden später hüllte eine Qualmwolke den getroffenen Dampfer ein und entzog ihn für immer dem Blick.
    Ein Torpedotreffer hatte das Fahrzeug aus dem Geleit herausgeschossen. Das konnten nur britische Schnellboote sein; für U-Boote war das Wasser in dieser Gegend nicht tief genug.
    Unsicher streuten die Geschützführer ihre Geschosse flach über die Wasserfläche. Im Schein der Leuchtspur hofften sie den Gegner zu entdecken. Doch die wendigen Schnellboote hatten sich längst vom Geleit abgesetzt. Häfner ließ auf die Untergangsstelle zudrehen. Ballen von Torf schwammen umher. Gerber hatte sie schon in Granville bemerkt; als Decksladung waren sie gestapelt. Im Schiffsleib aber lagerte - die Papiere wiesen es aus - Munition für die Kanalinseln.
    Keiner von der Besatzung überlebte die Explosion. Die Torfballen und einige Trümmer waren alles, was von dem Frachtdampfer übriggeblieben war.
    Das Geleit lief in Guernsey ein. Kaum lagen die Fahrzeuge an der Pier, wurde Schnaps ausgegeben. In dieser verzweifelten Stimmung mußten die Männer trinken, um die grauenhaften Momente zu vergessen und Schlaf zu finden. Wie auf Befehl wurden die toten Seeleute von er «Bizon» mit keinem Wort erwähnt.
     
    Das Klima auf der Insel Guernsey war mild und viel angenehmer als an der Küste. Irgendwie hing das mit dem Golfstrom zusammen, erinnerte sich Gerber. Koppelmännchen hätte ihm das bestimmt erklären können.
    Malerisch zog sich die Hafenstadt an einem sanft geschwungenen Hügel entlang. Sie war die Hauptstadt von Guernsey. Die Franzosen nannten sie Saint-Pierre, die Engländer Saint Peter Port.
    Ein Bootsmann wurde zum Einkaufen in die Stadt geschickt. Er nahm Gerber mit. Gemächlich schlenderten sie durch eine große Markthalle. Von allen Seiten kamen freundliche Angebote: Blumen, Frühgemüse, Tomaten, Obst in Hülle und Fülle. Ihr Anbau bildete seit langem einen wichtigen Erwerbszweig der Bewohner. Die Händler sprachen überwiegend Englisch, manche auch einige Brocken Deutsch. Der Krieg hatte die Ausfuhr nach England lahmgelegt, und für den Abtransport nach dem Festland fehlte es an

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