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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
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unaufhörlich. Sie verließen ihren grausigen Platz erst, als ein Matrose mit dem Bootshaken auf sie einschlug.
    Voller Entsetzen sah Gerber die leeren, blutigen Augenhöhlen.
    Häfners Boot dampfte heimwärts. Eine Persenning deckte die Toten zu. Notdürftig war eine Kriegsflagge über sie gebreitet.
    Als die Leichen von einem Lastwagen abgeholt wurden, saß die Mannschaft beim Essen. Unbeteiligt kauten die Männer ihre Mahlzeit.
    Gerber brachte keinen Bissen hinunter. Es war seine erste Begegnung mit dem Kriegstod.

 
    5. Kapitel
    Von Gotenhafen nach Lorient
    Helmut Koppelmann war von Stralsund nach Osten gefahren. «U-Boot-Schule Gotenhafen» stand in seinen Marschpapieren. Eine herrliche Frühlingssonne schien, als der Trupp von dreißig Mann am Bestimmungsort eintraf. Nicht alle waren unbedarfte Matrosen; es befanden sich Obergefreite und Maate darunter, die in Norwegen oder an der französischen Atlantikküste schon einiges erlebt hatten.
    Die Stadt machte einen überaus modernen Eindruck. Helmut entsann sich dunkel, bei Kuhle von ihrer Entstehung gehört zu haben. Im Jahre 1919 erhielt Polen einen schmalen Streifen Küste zugesprochen. Mit großer Begeisterung errichtete der junge Staat an der Stelle eines Fischerdorfes den leistungsfähigen Überseehafen Gdynia. In seinem Schulatlas las Helmut «Gdingen». Das war kein richtiges deutsches Wort und auch nicht korrekt polnisch. Schon damals hatte er sich gewundert, wie eine solche Verballhornung zustande kam.
    Die Polen sprachen mit Stolz von ihrer neuen Stadt. Sie war großzügig angelegt, hell und freundlich. Diese rein polnische Gründung mit ihrem rein polnischen Namen wurde im Herbst 1939 in «Gotenhafen» umbenannt. Dr. Vetter allerdings bezweifelte, daß die Goten jemals dorthin gekommen waren. Na ja, der hat immer etwas zu meckern, dachte Helmut. Gotenhafen, das klingt urnordisch und beweist unseren Sinn für Tradition.
    Geschlossen marschierte der Trupp zum Hafenbecken I - vorbei an großen Wohnblocks, Geschäften, Kaffeehäusern, gepflegten Grünanlagen.
    Am Hafen setzten die Männer ihre Seesäcke ab. Vor ihnen lag die «Gneisenau». Der Anblick des gewaltigen Schlachtschiffes mit seinen Geschütztürmen ließ Koppelmanns Herz höher schlagen. Auf einem solchen Schiff Dienst zu tun wäre der Traum aller Träume!
    Beim näheren Hinschauen jedoch stellte sich heraus, daß der erste Eindruck eine Täuschung war. Unnatürlich tief lag der hellgraue Riese im Wasser. Er war keineswegs der Beherrscher des Ozeans, sondern ein fast hilfloses Wrack. Koppelmann konnte sich das nicht erklären. Vor knapp zwei Monaten, bei dem Kanalunternehmen, war die «Gneisenau» unangefochten durchgekommen. So jedenfalls stand es in den Berichten.
    Ein Marineobergefreiter, der aus Kiel kam, wußte Bescheid. Das Schiff war auf eine Mine gelaufen und schwer beschädigt worden. Danach, als es auf der Kieler Werf zur Reparatur lag, wurde es mehrmals von britischen Bombern getroffen; sein Deck war von Bränden verwüstet. Fahrtuntüchtig mußte es an einen weniger gefährdeten Ort abgeschleppt werden. Nun lag es in Gotenhafen als schwimmende Batterie, als abgetakelter Hulk. Nur ein schwacher Abglanz kündete von seiner einstigen Leistungsfähigkeit.
    Die U-Boot-Schule unterschied sich vorteilhaft von der alten verräucherten Kaserne, in der Koppelmann seine Rekrutenzeit verbracht hatte. Das moderne Gebäude hatte der polnischen Hafenverwaltung als Büro gedient und war für Schulzwecke umgebaut worden. Von seiner Unterkunft aus genoß Helmut den weiten Blick über den Hafen bis zur bewaldeten Halbinsel Hela.
    Der Dienstbetrieb begann erst einige Tage später. Die Männer hatten viel Freizeit und außerdem abends Ausgang. Nach der strengen Zucht, der Koppelmann monatelang unterworfen gewesen war, genoß er die ungewohnte Freiheit in vollen Zügen.
    Ein freundlicher Bootsmaat lud ihn und einige andere Neulinge zu einer ganztägigen Segelpartie ein. Der Schule standen mehrere hochseetaugliche Yachten zur Verfügung. Sie stammten aus polnischem Privatbesitz. Grinsend sagte der Bootsmaat, daß es wohl keiner der Eigentümer wagen würde, gegen die Beschlagnahme zu protestieren; andernfalls wären ihm «mehrere Jahre Stutthof» sicher.
    Fragend schauten ihn die Matrosen an.
    «Ein Konzentrationslager, ganz in der Nähe», erklärte der Maat ungerührt.
    Der Maat hatte die Neulinge nicht aus Menschenfreundlichkeit mitgenommen. Er war total blank. Den Kasten Bier mußten seine Begleiter

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