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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
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Niemand an Bord regte sich darüber auf, auch Gerber nicht. Schon auf Dänholm hatte er erfahren, daß Ungerechtigkeit und Schikane zum Barras gehörten wie Stillstehen und Wegtreten.
    Die Wut des Flottillertchefs machte bei Hansen nicht halt. Er beorderte Häfner zu sich und zählte ihn kräftig aus. Häfner sei ihm zu nachgiebig; er ließe die Dinge laufen und kümmere sich zuwenig um sein Fahrzeug. Damit hatte der Chef zweifellos Recht.
    Nach dem Anpfiff dachte Häfner angestrengt nach, wie er bei seinen Vorgesetzten einen guten Eindruck machen könnte. Als erstes suchte er für seinen Dampfer einen Liegeplatz, der vom Zimmer des Flottillenchefs im Verwaltungsgebäude bequem einzusehen war. Mit einer Flasche Schnaps, die er dem versoffenen Hafenkapitän schenkte, war diese Aufgabe schnell gelöst. Noch am gleichen Tag wurde das Boot von einem Hafenschlepper verholt.
    Für den nächsten Vormittag setzte Häfner ein großes Gefechtsmanöver an. Bis in alle Einzelheiten war ausgearbeitet, was mit dem Dampfer zu passieren hatte. Schabe litt unter furchtbaren Zahnschmerzen und verdrückte sich rechtzeitig an Land. Die anderen mußten mitmachen: Artillerietreffer auf der Brücke, drei Mann schwer verwundet. Wassereinbruch im Vorschiff, alle Schotten verklemmt. Störung am Aufzug für die Munition, Qualm in der Munitionslast. Brand in der Farblast, Temperatur schon über sechzig Grad. Schwitzend und fluchend wurden Lecks abgedichtet, Feuerlöscheinrichtungen betriebsklar gemacht, Flottenatmer übergestülpt, Verwundete abgeseilt und schwere Munitionskisten aus der Gefahrenzone geschleppt.
    Befriedigt stellte Häfner fest, daß mehrere einflußreiche Herren das Manöver mit Interesse verfolgten.
    Maaten und Mannschaften hing die Zunge aufs Koppelschloß. Vier Stunden lang hatten sie genau nach Plan alle Situationen durchgespielt. Nun konnte eigentlich nichts mehr kommen. In diesem Augenblick ertönte der Befehl: «Torpedolaufbahn an Steuerbord!»
    Althoff griff sich eine Flüstertüte und rief laut: «Fender klarhalten!»
    Alle bogen sich vor Lachen. Der Gedanke war auch zu komisch: Mit einem armseligen Fender aus Tampen und Kork sollte der Anprall eines Torpedos aufgehalten werden!
    Ritter hingegen nahm das Kommando ernst und warf tatsächlich einen Fender über die Bordwand. Das machte den Witz vollkommen. Sogar Bootsmann Kehlhus lachte. Es war zwecklos, weitermachen zu lassen. Kehlhus pfiff «aufklaren». Die Übung war beendet.
    Der Kommandant bestellte Althoff und Ritter zum Rapport. Althoff erhielt sieben Tage, Ritter drei Tage Arrest. Einen Mann wie Althoff konnte das nicht erschüttern; Ritter aber war verzweifelt. «Mensch, in drei Wochen hätte ich Obergefreiter werden können! Wieder nichts! Wenn mir ein Butterbrot aus der Hand fällt, dann fällt es bestimmt auf die Schmierseite!»
     
    Die Sirenen heulten Fliegeralarm. Die Geschützbedienungen bezogen ihre Gefechtsstationen und stülpten den Helm über. Gemäß dem Befehl mußten überzählige Besatzungsmitglieder in den Splittergräben Deckung suchen, die entlang der Stadtmauer gegraben waren.
    Gehorsam trabte Gerber los und stellte sich in einen Graben. Die Obergefreiten kamen erst nach ihm, viel später die Maate. Die militärische Pyramide wurde auch bei Fliegeralarm eingehalten.
    Ein Verband zweimotoriger Bomber flog schräg über den Hafen. Gerber schätzte die Höhe auf dreitausend Meter. Zehnkommafünf, Achtkommaacht und Dreikommasieben feuerten, was die Rohre hergaben. Trotz dieses Aufwandes an Munition wurde nur eine Maschine getroffen. Ihr Backbordmotor zeigte eine schwache Rauchfahne. Die Besatzung stieg aus. Bald schwebten fünf schneeweiße Schirme am wolkenlos blauen Himmel. Führerlos flog die Maschine weiter, verlor über der Außenfestung Cecembre einen Motor und stürzte ins Meer.
    Der Angriff hatte nicht zum Bombenwurf geführt und wurde allgemein belächelt. Schwatzend standen die älteren Dienstgrade an der Pier und besprachen den Fall. Endlich eine Abwechslung!
    Da flitzten in Sekundenschnelle drei Hurricanes über die Hügel bei Saint-Servan. Im Gleitflug stießen sie auf das Hafenbecken herunter und knallten mit ihren Maschinenkanonen in die Menschenansammlung auf der Pier.
    Alles stob auseinander, sprintete in Richtung der Schutzgräben. Zu spät! Gerber lugte über den Grabenrand und sah, wie eine Kette von ganz kleinen Wolken auf dem gestampften Kai hochsprang. Vier oder fünf Männer fielen hin. Dann mußte er den Kopf einziehen,

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