Irrfahrt
Reinigung des engen und verwinkelten Schiffes nahm täglich mehrere Stunden in Anspruch. Beulen am Kopf und Schrammen an den Händen waren die unvermeidbaren Begleitumstände. Während die anderen sich plagten, saß Koppelmann gemütlich in der Zentrale und pinselte an seinem Nachtrag. Sobald die Zentrale gereinigt wurde, verholte er sich in den Turm. Sein Auftrag war eine bequeme Schreibtischarbeit, bei der er außerdem noch etwas lernen konnte.
Das Pensum teilte er sich klug ein. Jeden Vormittag erschien der II WO und schaute ihm über die Schulter. Immer konnte Helmut sorgfältig präparierte Seiten mit frischen Eintragungen vorweisen. Der II WO ging anschließend zum Kommandanten und berichtete über den Fortgang der Arbeit. Da die Aufgabe nicht vordringlich war, kam jeder auf seine Rechnung und war zufrieden.
Koppelmann nutzte die günstige Gelegenheit und studierte den «Gröner». Das Werk enthielt Angaben über alle Handels- und Passagierschiffe der Welt mit mehr als tausend Bruttoregistertonnen, dazu die Schattenrisse und Klassenmerkmale sowie Einzelheiten über die Schiffe, Werften und Reedereien.
Nach einigen Tagen wußte Koppelmann, daß der große Passagierdampfer «Queen Mary» zur Klasse 1SSS1 gehörte, daß 111S1 nur ein Tanker sein konnte, daß man bestimmte Frachter mit Passagierbeförderung an der Formel ii1S1ii erkannte, daß Fahrzeuge mit einem deutlich vom Schornstein abgesetzten Brückenhaus als 1bs1 klassifiziert wurden.
Zahlreiche Schiffe waren inzwischen gesunken und mußten gestrichen werden. Doch im Vergleich zu dem noch vorhandenen Schiffsraum war das nur ein Bruchteil. Allerdings blieben die britischen und amerikanischen Neubauten hinter den Verlusten zurück.
Helmut rechnete und schrieb. Mit einem fein gespitzten harten Bleistift trug er die Angaben ein. Der Tonnagekrieg dauerte nun schon fast drei Jahre. Das Ziel, Großbritannien auszuhungern und zur Kapitulation zu zwingen, war immer noch nicht erreicht. Der britische Löwe wehrte sich mit Krallen und Zähnen.
Nebenbei mußte Helmut verschiedene Aktenstücke sortieren und abheften. Die Flotte führte einen Papierkrieg, der sich sehen lassen konnte. Vieles bezeichnete Kapitänleutnant Thieme einfach als «Mist». Aber gelegentlich befanden sich auch interessante Meldungen darunter:
Am 14. ApriI 1942 war ein U-Boot von einem USA-Zerstörer auf eine Entfernung von siebentausend Meter mit Radar geortet worden. Siebentausend Meter! Wenn derartige Geräte erst auf den meisten Geleitfahrzeugen eingebaut sind... Helmut wagte nicht, den Gedanken weiterzuspinnen.
Drei Unterseeboote sollten gleichzeitig auslaufen. Zehn Minuten vor der angesetzten Zeit wurde im Hafen von Lorient Fliegeralarm gegeben. Vorsichtig zog man die Boote aus dem großen Betonbunker. Schon mehrfach waren ausgerechnet in der Stunde des Auslaufens überraschend englische Torpedoflieger aufgetaucht. Kürzlich ging ein frisch ausgerüstetes Boot im Hafenbecken verloren. Der britische Nachrichtendienst besaß viele Helfer in Frankreich.
Die Besatzung hatte in den letzten Tagen viel durchgemacht. Nach einem seitenlangen Stauplan mußten in fast pausenloser Arbeit ungeheure Mengen an Verpflegung und Ausrüstung an Bord gebracht werden. Beim Fieren durch die engen Luken gab es die üblichen Verletzungen. Dem Bootsmaat Schwarz war in einem Augenblick der Unaufmerksamkeit eine Kiste auf den Kopf gefallen. Er wollte den Schuldigen zum Rapport melden, aber Thieme warf ihn hinaus. «Passen Sie doch auf, Sie Dussel! Ewig denken Sie nur an Ihre Neger auf der Plantage!»
Langsam schlängelten sich die grauen Wölfe an den beiden Küstenforts Gavre und Loqueltas vorbei. Hier waren Flakbatterien aufgestellt, die den Hafen schützen sollten.
An der Einfahrt wartete ein dicker Sperrbrecher. Vor dem Krieg war er als Handelsdampfer gefahren; man hatte ihn mit einem scheckigen Tarnanstrich versehen, mit Kork beladen und sein Deck mit Flakwaffen übersät. Wie die Stacheln eines Igels zeigten die schlanken Rohre nach allen Seiten.
Mit ablaufendem Wasser kamen die Fahrzeuge schnell vorwärts. Als die Turmbake La Jument passiert war, durfte «Voll voraus» gefahren werden. In Kiellinie setzten sich die Unterseeboote hinter den Sperrbrecher, um sich durch die schmale Fahrrinne zwischen den Minenfeldern geleiten zu lassen. Nach einer Stunde Fahrt war die Küste im Dunst verschwunden. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit drehte der alte Dampfer nach Steuerbord ab und ließ die Boote
Weitere Kostenlose Bücher